Wie viele Kalorien sollte ich am Tag verbrennen? Expert:innen zufolge ist die Antwort kompliziert
Ernährung
Expert:innen erläutern alle Faktoren, anhand derer du festmachen kannst, wie viele Kalorien du am Tag verbrennen (und zu dir nehmen) solltest. Und hier erfährst du auch, warum diese Frage größtenteils irrelevant ist.
Viele achten bei Lebensmitteln hauptsächlich auf die enthaltenen Kalorien.
In den Nährwertangaben auf Lebensmittelverpackungen werden auch die enthaltenen Kalorien angegeben. Eine Zahl, die auf einer Zufuhr von 2000 Kalorien pro Tag basiert, wie vermutlich ebenfalls im Kleingedruckten angegeben sein wird.
Die Effektivität eines Workouts wird häufig über das Zählen oder "Verbrennen" von Kalorien bestimmt. Beim Training auf einem Laufband oder einem Ellipsentrainer wird oft angezeigt, wie viele Kalorien du auf dem Gerät verbrannt hast. Viele tragbare Fitness-Tracker geben auch vor, die Anzahl von Kalorien zu kennen, die eine Person am Tag verbrauchen kann.
In der Welt der Fitness kommt man am Thema "Kalorien" kaum vorbei. Aber wenn es darum geht, diese Kennzahl dafür zu nutzen, deine Gesundheit zu verbessern und einzuordnen, ist das Kalorienzählen ziemlich sinnlos, so Dr. Robert H. Lustig, Kinderarzt und Professor für Neuroendokrinologie sowie Autor von "The Lure and the Lies of Processed Food, Nutrition, and Modern Medicine".
Er erklärt, dass der Kalorienverbrauch Teil des menschlichen Stoffwechsels insgesamt ist. Daher hängt er stark von den Genen, dem Alter, dem Umfeld und der chemischen Zusammensetzung der konsumierten Nahrungsmittel ab.
Demnach ist es also irrelevant, wie viele Kalorien du am Tag zu dir nehmen und verbrennen solltest. Unten schlüsselt Lustig auf, was eine Kalorie ist, in welchem Verhältnis sie zu deinem Stoffwechsel steht und wie du Kalorien zu dir nehmen solltest, um energiegeladen und kräftig zu bleiben.
Was bedeuten diese Kalorienempfehlungen für dich genau?
Laut den U.S. Dietary Guidelines for Americans sollten Kinder und Erwachsene ihren Konsum von Kalorien an ihrer Altersgruppe, ihrem Geschlecht und ihren Aktivitäten orientieren. So können sich zwischen 1600 und 3000 Kalorien ergeben.
Aber auch wenn Kalorien und die Empfehlung, 2000 Kalorien am Tag zu sich zu nehmen, weiterhin Teil der Gesundheitsrichtlinien in den USA sind, muss man bedenken, dass dieses Konzept bei seiner ursprünglichen Ausarbeitung 1896 eigentlich nicht so sehr auf die Gesundheit ausgerichtet war. Mit Kalorien wurde vielmehr bestimmt, welche Nahrungsmittel für Schulspeisungen und Essensausgaben beim Militär und in Gefängnissen geeignet sein sollten. (Anders gesagt halfen Kalorien der Regierung dabei, Zeit und Geld bei der Ernährung großer Gruppen von Menschen zu sparen.)
Wenn man jedoch seine Nahrungsmittelaufnahme messen und maximieren möchte, muss man eine Kalorie anhand des Gesamtenergiebedarfs definieren, so Dr. Uma Naidoo, Autorin von "This Is Your Brain on Food". "Kalorien versorgen letztendlich den Körper mit der notwendigen Energie für den Tag", so Naidoo weiter. "Wenn wir zu wenig Kalorien zuführen, können unsere Organe und Körpersysteme nicht richtig funktionieren."
Aus fachlicher und anatomischer Perspektive, sagt Lustig, hängt das richtige Funktionieren dieser Körpersysteme – oder des Stoffwechsels – im Grunde von funktionierenden Zellen ab.
"Einfach gesagt, bedeutet Stoffwechsel, dass man Dinge von außerhalb des Körpers nimmt und sie innerhalb des Körpers nutzt", so Lustig weiter. Allerdings sind die Dinge von "außerhalb" nicht nur Nahrungsmittel — sondern auch Sauerstoff, Wasser und Vitamine. "Alles, was von außerhalb kommt, führt entweder zu Wachstum oder zu Verbrennung [in unseren Zellen]. Das nennt man Stoffwechsel."
Lustig sagt jedoch weiter, dass Nahrungsmittel der wichtigste Motor sowohl für das Wachstum als auch für die Verbrennung von Zellen sind. Er fügt hinzu, dass Proteine – oder besser gesagt die Aminosäuren (also die Bausteine der Proteine) – einer der wichtigsten Wachstumsfaktoren von Zellen sind. Aus diesem Grund, sagt er, würden Menschen zum Muskelaufbau mehr Proteine zu sich nehmen.
Aber woher die Zellen wissen, wann sie Nahrungsmittel für das Wachstum oder die Verbrennung nutzen müssen, "darin liegt die Magie des Stoffwechsels", so Lustig weiter.
Was führt dazu, dass der Stoffwechsel unterschiedlich sein kann?
Wie Lustig sagt, sind die Gründe dafür, warum der Stoffwechsel einer Person schneller oder langsamer funktioniert als bei anderen, stark von einer Reihe von Faktoren abhängig. Aber die Definition ist ihm zufolge ziemlich klar: Ein langsamer Stoffwechsel ist das Ergebnis von Zellen mit schlecht arbeitenden Mitochondrien.
"Deine Mitochondrien wandeln Nährstoffe in Energie um", so Lustig weiter. "Wenn deine Mitochondrien schlecht arbeiten, spricht man von einem langsameren Stoffwechsel."
Es gibt einige wissenschaftliche Theorien, was dazu führen kann, dass die Mitochondrien bzw. der Stoffwechsel einer Person langsam arbeiten. Eine im Oktober 2021 veröffentlichte Studie besagt, dass der Stoffwechsel einer Person am stärksten von ihrem Alter abhängt. Jedoch wird er mit zunehmendem Alter nicht stetig langsamer, wie früher angenommen. Der Stoffwechsel von Kindern zwischen einem und 15 Monaten arbeitet ungefähr 50 Prozent schneller als der von Erwachsenen. Danach nimmt die Geschwindigkeit des Stoffwechsels allmählich ab (aber nicht sehr stark), bis der Mensch 20 Jahre alt ist. Er bleibt bis zum Alter von etwa 60 konstant und verlangsamt sich dann wieder.
Die Wissenschaftler:innen fügen hinzu, dass der Hauptgrund dafür, dass die Männer in der Studie einen schnelleren Stoffwechsel als die Frauen hatten, der größere Muskelanteil im Körper war. Anders gesagt, das Geschlecht alleine sagt nichts über die Geschwindigkeit des Stoffwechsels aus. Bestimmte Krankheiten wie Diabetes und Hormonstörungen beeinflussen ebenfalls den Stoffwechsel einer Person.
Lustig weist darauf hin, dass die Körpertemperatur bzw. der Stoffwechsel der Menschen in den letzten 150 Jahren generell abgenommen hat.
"Die Körpertemperatur entsteht durch Wärme, die durch das Arbeiten der Mitochondrien verursacht wird", erklärt er. "Wenn du also eine niedrige Körpertemperatur hast, arbeiten deine Mitochondrien nicht so effektiv."
Wie viele Kalorien solltest du also pro Tag verbrennen?
Die Antwort? Das ist gar nicht so wichtig. Das liegt daran, dass die Funktionsweise des menschlichen Stoffwechsels teilweise unbekannt ist. Daher ist es im Hinblick auf die Gesundheit insgesamt nicht immer hilfreich zu zählen, wie viele Kalorien du den Tag über zu dir nimmst oder "verbrennst". Und bei Essstörungen kann es sogar gefährlich sein, wenn zu viel Wert auf den Konsum und Verbrauch von Kalorien gelegt wird.
Laut Naidoo sollte man immer bewusst entscheiden, welche Lebensmittel man konsumiert (also auf die Qualität der Kalorien achten), anstatt sich ständig mit der Kalorienzahl zu beschäftigen.
"Auch wenn alle Kalorien dieselbe Menge an Energie aufweisen, ist die Art und Weise, wie Körper Kalorien verarbeiten und auf sie reagieren, doch sehr unterschiedlich", so Naidoo weiter.
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Ebenso ist es weniger wichtig, wie viele Kalorien du beim Training verbrennen solltest, als dass du überhaupt trainierst. Laut einer Studie aus dem Jahr 2017 zur Effektivität von Fitness-Trackern wird der Kalorienverbrauch beim Sport häufig überbewertet. Aber wie in den Physical Activity Guidelines for Americans, 2nd. edition angemerkt, sollte der größere Anreiz zur Bewegung darin bestehen, was dir eine Übung gibt, und nicht darin, was sie dir nimmt.
Dies liegt daran, dass du mit 150 bis 300 Minuten moderatem Training oder 75 bis 150 Minuten intensivem aerobem Training pro Woche – mit einer Kombination aus Muskelkräftigung an zwei oder mehr Tagen die Woche – eine sehr gute Wirkung für deine Gesundheit erzielen kannst. Vorteile sind beispielsweise ein besseres Stressmanagement, mehr Energie, verbesserter Schlaf und ein geringeres Risiko für chronische Krankheiten, so die Richtlinien.
Empfehlenswerte hochwertige Lebensmittel
Naidoo empfiehlt, den ganzen Tag über Nahrungsmittel mit einem niedrigen glykämischen Index bzw. Nahrungsmittel zu sich zu nehmen, die deinen Blutzucker eher nicht dramatisch in die Höhe treiben. Diese sind beispielsweise Gemüse, Beeren, mageres Eiweiß wie Truthahn, Hühnchen und Fisch sowie "gesunde" Fette, wie sie in Avocados, Anchovis und Sardinen sowie bestimmten Nuss- und Kernsorten wie Walnüssen, Macadamianüssen, Mandeln und Cashew-Nüssen enthalten sind.
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Diese Arten von Nahrungsmitteln mit einem niedrigen glykämischen Index helfen dir, laut Naidoo, dein Energielevel den ganzen Tag über stabil zu halten. Sie fügt hinzu, dass Lebensmittel, die für ein "gesundes Mikrobiom" sorgen oder deinem Bauch gut tun und Unwohlsein vermeiden, ebenso helfen können.
"Ein gesundes, ausgeglichenes Mikrobiom im Bauch wird mit guter Zellfunktion, optimaler Nährstoffaufnahme, höherem Energielevel und einer effizienten Verdauung in Verbindung gebracht", so Naidoo. "Ein ungesundes Mikrobiom kann jedoch zum Leaky-Gut-Syndrom, schlechter Nährstoffaufnahme, Müdigkeit und langsamer, möglicherweise problematischer Verdauung führen."
Dennoch, betont Naidoo, ist die Nahrungsmittelzufuhr sehr individuell. Und die Art von Nährstoffen, von denen eine Person viele zu sich nehmen sollte, ist für eine andere vielleicht nicht geeignet. Staatlich anerkannte Ernährungsberater:innen können dir dabei helfen, einen Plan für deine individuellen Anforderungen auszuarbeiten.
"Es ist wichtig, ausreichende Mengen gesunder vollwertiger Lebensmittel zu sich zu nehmen, um unseren Körper und unseren Geist zu ernähren. Aufgrund unseres einzigartigen Mikrobioms und Stoffwechsels sind unsere Reaktionen auf diese Lebensmittel unterschiedlich", so Naidoo weiter.
Die Schlussfolgerung?
Kalorien sind nicht "schlimm". Und für viele Menschen, Ärzt:innen und staatliche Einrichtungen können sie dazu dienen, die Energie (allgemein) in bestimmten Arten von Nahrungsmitteln und Getränken genau zu beziffern.
Für die meisten Menschen ist das Kalorienzählen aber zum Erreichen ihrer Gesundheitsziele weitaus weniger effektiv als beispielsweise der Konsum von Lebensmitteln wegen der enthaltenen Nährstoffe –oder einfach aufgrund des Genusses, den sie dir bereiten. Und dasselbe gilt für das Workout. Die bereits genannten Physical Activity Guidelines listen Gartenarbeit und Laufen als Form von aeroben Aktivitäten mit moderater Intensität auf. Du hast also schier endlose Bewegungsmöglichkeiten, um die gesundheitlichen Vorteile des Trainings zu erhalten.
Text: Julia Sullivan, ACE-zertifizierte Personal Trainerin