5 Vorteile von täglichen Dehnübungen – erklärt von Expertinnen
Sport und Bewegung
Hier erfährst du, warum das Flexen und Strecken deiner Muskeln, Sehnen und Gelenke essenzieller Bestandteil eines Workouts ist.
Wenn die Zeit knapp ist, ist die Versuchung groß, vor und nach dem Training auf das Dehnen zu verzichten. Aber viele Expert:innen sind überzeugt, dass gerade das Dehnen ein wichtiger Teil jedes Workouts ist und deshalb nicht ausgelassen werden sollte.
"Durch tägliches Dehnen verbesserst du nicht nur deine sportliche Leistungsfähigkeit, sondern profitierst auch bei Alltagsaktivitäten, weil du einfach beweglicher wirst. Außerdem senkst du das Verletzungsrisiko und beugst chronischen Schmerzen vor", erklärt Marissa Miller, ACE-zertifizierte Personaltrainerin. "Du kannst nicht erwarten, dass du einmal ins Gym gehst und sich noch am selben Tag deine Muskeln wie von selbst definieren. Das gleiche gilt für das Dehnen: Nur, wenn du es regelmäßig praktizierst, wirst du Veränderungen in deinem Bewegungsradius feststellen."
Durch tägliches Dehnen lassen sich auch Verspannungen lösen, ergänzt Ellen Barrett, Kripalu-zertifizierte Yogalehrerin und zertifizierte ACE-Gruppentrainerin. "Dehnen hilft, Muskelverspannungen zu lösen und zu beheben, vor allem im Schulter- und Nackenbereich. Die meisten Menschen wissen gar nicht, wie verspannt sie wirklich sind, bis sie sich bewusst dehnen", erklärt sie. "Außerdem wirkt sich die Zeit, die du mit Dehnen verbringst, nicht nur positiv auf deinen Körper, sondern auch auf deinen Geist aus."
Befassen wir uns zunächst mit den beiden grundlegenden Formen des Dehnens.
Dynamisches und statisches Dehnen
Laut Miller werden beim dynamischen Dehnen die Bewegungen über den gesamten Bewegungsradius ausgeführt. Dabei werden sowohl die Gelenke als auch die Bänder aktiviert, ohne dass dabei eine bestimmte Pose gehalten wird.
"Beim dynamischen Dehnen soll der gesamte Bewegungsbereich allmählich ausgenutzt werden", erklärt Miller.
Sie ergänzt, dass Menschen, die schon ein wenig Übung haben, schnell den halben oder gesamten Bewegungsbereich erreichen. Andere sollten das lieber langsam angehen und die Belastungen zunächst reduzieren, um wichtige Gelenke nicht zu überfordern. Eine einfache, für Anfänger:innen geeignete Übung wären beispielsweise Jumping Jacks ohne Springen. Mach stattdessen Seitwärtsschritte und hebe und senke die Arme so, wie es für dich angenehm ist.
Miller erklärt außerdem, dass du durch das Dehnen die Gelenke auf ein anschließendes Training vorbereiten (quasi schmieren) kannst. Dabei solltest du aber wissen, dass nicht alle Gelenke auf dieselbe Weise funktionieren. "Einige sind sehr beweglich, wie zum Beispiel die synovialen Kugelgelenke an der Schulter oder der Hüfte. Andere sind statisch, also für die Bewegung auf einer Ebene ausgelegt, wie Ellenbogen und Knie."
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"Beim dynamischen Dehnen praktizierst du das Prinzip der Spezifität. Damit bereitest du Muskeln, Gelenke und Bänder auf Übungen in den entsprechenden Bereichen vor", erklärt sie. "Vor dem Training sind unsere Muskeln kalt. Mit dynamischem Dehnen verhinderst du eine Überlastung und mögliche Risse."
Ein weiterer Grund für dynamisches Dehnen vor dem Training: Die Körpertemperatur steigt. Das erklärt Keri Gans, Lehrerin für Vinyasa-Yoga. "Beispiele für dynamisches Dehnen sind gegangene Ausfallschritte, Torso-Rotation aus der Bewegung, Katze-Kuh oder Armkreisen", so Gans.
Beim statischen Dehnen hältst du eine Dehnung für eine bestimmte Zeit (meist 10 bis 30 Sekunden). Laut Gans sollten solche Übungen hauptsächlich beim Cool-down durchgeführt werden. "Für diese Dehnungen sollte der Körper bereits aufgewärmt sein", ergänzt sie.
Beispiele für statische Dehnübungen sind das Dehnen des gestreckten Beins in der Rückenlage (evtl. mit Unterstützung eines Trainingsbands um den Fußballen), die Anjaneyasana-Pose (tiefer Ausfallschritt) oder die Kind-Haltung.
So dehnst du richtig
Beim Dehnen solltest du einige Grundlagen berücksichtigen. Anfänger sollten unbedingt auf ihren Körper hören.
"Wenn sich etwas nicht richtig anfühlt, hör auf", so Gans. "Eine Dehnung kann für den einen Menschen richtig sein und für den anderen wiederum nicht."
Barret stimmt zu und ergänzt: "Nur die Person, die sich dehnt, weiß, wie tief sie in die Dehnung gehen kann." Miller betont außerdem, dass sich eine Dehnung zwar unangenehm anfühlen darf, aber nie weh tun sollte. Sie fügt hinzu, dass alle Bereiche des Körpers gedehnt werden sollten: Arme, Beine, Oberschenkel und so weiter. "So verhinderst du Dysbalancen, die wiederum zu Überkompensierung und Verletzungen führen können", erklärt sie.
Vergiss nicht, dich beim Dehnen auch auf die Atmung zu konzentrieren. Das bringt weitere Vorteile mit sich. "Lange, tiefe Atemzüge transportieren Sauerstoff in Gelenke und Muskeln. So kannst du dich noch tiefer in die Dehnung sinken lassen", so Miller.
Alle drei Expertinnen raten von ballistischem Dehnen ab, bei dem du in der gedehnten Position federst.
"Federn beim Dehnen belastet Gelenke und Bänder und lässt sie verkrampfen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was du durch das Dehnen erreichen möchtest", erklärt Miller. "Außerdem läufst du Gefahr, zu schnell zu tief in die Dehnung zu sinken, weil du deine Bewegungen nicht kontrollierst. Dadurch wiederum riskierst du Verletzungen wie Verstauchungen, Risse oder Verspannungen auf der trainierten Seite und Überkompensation und muskuläre Dysbalancen auf der anderen Seite."
Laut den Richtlinien für Dehnung und Beweglichkeit des American College of Sports Medicine solltest du dich zwei bis dreimal in der Woche dehnen. Tägliches Dehnen ist natürlich noch effektiver.
5 mögliche Vorteile von täglichem Dehnen
1.Dehnen ist gut für dein Gehirn
Eine 2019 im SAGE Journals veröffentlichte Studie hat gezeigt, dass Dehnen sich auch positiv auf die Stimmung und die kognitiven Fähigkeiten auswirkt. Junge, sportlich inaktive Erwachsene nahmen an einem 10-minütigen Yoga- und Dehnprogramm teil. Sie berichteten anschließend, dass Anspannungen, Ängste, depressive Verstimmungen, Wut, Erschöpfung und Zweifel abgenommen hatten. Die Studienautor:innen verzeichneten außerdem eine Verbindung zu verbesserter Stimmung und besseren kognitiven Leistungen bei Lernen, Denken, Erinnern, Problemlösung und Entscheidungsfindung.
Die Autor:innen weisen darauf hin, dass weitere Untersuchungen nötig sind, um die genauen Mechanismen zu erkennen. Es könnte aber sein, dass durch das Dehnen Neurotransmitter im Gehirn wie zum Beispiel das Serotonin (ein Hormon, das für Stimmung und Emotionen zuständig ist) angesprochen werden. Sie verzeichneten außerdem, dass Anspannung und Ängste bei den Teilnehmer:innen nach nur 10 Minuten Dehnen abnahmen.
"Wenn wir gestresst sind, verkrampfen sich unsere Muskeln", erklärt Miller. "Wenn diese verkrampften Muskeln gedehnt werden, erhält unser Gehirn die Nachricht, dass wir nicht länger in Gefahr sind, und wir können entspannen."
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2.Dehnen ist gut gegen Rückenschmerzen
Acht von zehn Erwachsenen in den USA leiden irgendwann in ihrem Leben an Rückenschmerzen. Eine 2015 im Journal of Physical Therapy Science veröffentlichte Studie ergab, dass Teilnehmer:innen mit haltungsbedingten Schmerzen in Rücken, Schulter, Nacken oder Hüfte, die eine 20-minütige Dehnungsroutine absolvierten, bereits nach einer Woche weniger Schmerzen hatten.
Die Autor:innen verweisen dabei auf ähnliche Ergebnisse aus anderen Studien, darunter auch auf einen Versuch, bei dem Freiwillige nach einem 4-wöchigen Dehnprogramm deutlich weniger Schmerzen in Nacken und Schultern hatten.
Auch Forscher:innen aus dem Vereinigten Königreich, die 2016 eine systematische Studie durchführten, konnten bestätigen, dass eine Kombination aus Beweglichkeitsübungen, Kraftübungen und Konditionstraining bei nichtspezifischen chronischen Rückenschmerzen helfen kann. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass das Dehnen der Muskeln und Bänder im Rücken nicht nur die Beweglichkeit verbessert, sondern auch die Bewegungsmuster positiv beeinflusst.
3.Dehnen verbessert den Schlaf
Eine Gruppe internationaler Forscher:innen untersuchte die möglichen Auswirkungen eines Dehn- und Widerstandstrainings auf chronische Schlaflosigkeit, eine Schlafstörung, unter der laut der Sleep Foundation 10 bis 30 Prozent der Erwachsenen in den USA leiden.
Das Ergebnis wurde 2019 im Brazilian Journal of Psychiatry veröffentlicht: Teilnehmer:innen, die sich regelmäßig dehnten und trainierten, litten nicht mehr so stark unter Schlaflosigkeit und Einschlafproblemen. Sie wachten seltener auf und ihre Schlafqualität verbesserte sich. Außerdem konnten sie länger schlafen als die Kontrollgruppe.
4.Dehnen ist gut für das Herz
Gerade das Dehnen der Beine scheint viele Vorteile für das Herzkreislaufsystem zu haben. Das legt eine 2020 im Journal of Physiology veröffentlichte Studie nahe. Die Studienautor:innen wählten gesunde Erwachsene aus und teilten sie in zwei Gruppen auf. Eine Gruppe dehnte sich 12 Wochen lang fünf Mal in der Woche (mit Fokus auf Hüfte, Knie und Knöchel). Die andere Gruppe dehnte sich überhaupt nicht.
Nach Abschluss des Versuchs entdeckten die Forscher:innen, dass sich bei den Teilnehmer:innen, die sich gedehnt hatten, der Blutfluss verbessert hatte. Außerdem war die Arterienverhärtung zurückgegangen und der Blutdruck war niedriger. Reduzierter Blutfluss ist ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes und Schlaganfälle. Daher empfehlen die Autor:innen ein regelmäßiges Dehnprogramm für die Beine gerade für Hochrisikopatient:innen mit eingeschränkter Mobilität.
5.Dehnen kann die Beweglichkeit bei älteren Menschen verbessern
"Ich habe es bei meinen Klient:innen selber erlebt", berichtet Barret. "Durch das Dehnen kann die Mobilität erhalten, oft sogar verbessert werden. Mobilität ist wichtig, um lange jung und gesund zu bleiben."
Laut einer systematischen Studie und einer Metaanalyse von 24 klinischen Studien, die im Journal Topics in Geriatric Rehabilitation veröffentlicht wurde, zeigten ältere Erwachsene, die sich regelmäßig dehnten, im Vergleich zu Kontrollgruppe ein verbessertes Gangbild sowie einen größeren Bewegungsradius in den Hüftbeugern und bei der Knöcheldorsiflexion (das Hochziehen der Zehen). Die Forscher:innen fügten hinzu, dass Dehnen ein Weg sein könnte, dem altersbedingtem Abnehmen der Mobilität entgegenzuwirken.
"Mit dem Alter tendieren unsere Muskeln und das Bindegewebe dazu, zu versteifen. Tägliches Dehnen kann dem entgegenwirken und die Beweglichkeit verbessern", so Miller.
Weitere Tipps, wie du das Dehnen in deinen Trainingsplan integrieren kannst, erhältst du in der Nike Training Club App.
Text: Amy Capetta