Das Breakdance-Girl mit den märchenhaften Moves
Athletinnen* und Athleten*
Erfahre mehr über das Breakdance-Girl aus China, das ihr Studium und ihre Kunst miteinander verschmilzt.
Wang Qing in den Green Panda-Studios in Peking.
Wang Qing wacht jeden Morgen auf und ist sofort bereit, loszutanzen. Sie muss nur ihre Matratze zusammenklappen und zur Seite schieben, und schon stehen ihr eine leuchtend pinkfarbene Tanzfläche und eine bodentiefe Spiegelwand zur Verfügung. Die Musik beginnt zu spielen und ihr Schlafzimmer verwandelt sich in ein Tanzstudio.
Im Breakdance ist Wang Qing sowohl Powerpaket als auch Ausnahmeerscheinung. Als B-Girl der Extraklasse zählt sie nicht nur zu den bekanntesten und besten Breakdancerinnen in China, sondern ist auch Vollzeitstudentin, die auf ihren Doktortitel in chinesischer Volkskunde hinarbeitet. Dieses Fachwissen nutzt sie, indem sie sowohl Verspieltheit und Humor als auch überlieferte Geschichten in ihre Dance Moves integriert.
"Mich hat das Studium der Volkskunde sehr interessiert, weil ich in meiner Jugend gerne Märchen gelesen habe", erzählt sie. "Durch die Geschichten anderer Menschen können wir besser verstehen, wie sie sich fühlen und die Welt und ihre Umgebung wahrnehmen."
Auf der Bühne fesselt Wang Qings choreografiertes Storytelling klar strukturiert mit einem Anfang sowie einem Mittel- und einem Endteil. Sie ist als Zixia aufgetreten, eine Fee aus einer chinesischen Legende aus dem 16. Jahrhundert. Häufig lässt sie auch alte Kampfkunststile in ihre Moves einfließen. "Es ist schon etwas Besonderes, wenn Frauen schnelle Drehungen oder Power Moves ausführen oder Bewegungen von Drachen oder Schlangen nachahmen", sagt sie. "Eine Heldin in Kung-Fu-Filmen sagt immer etwas aus und hat eine große Bedeutung."
"Es ist schon etwas Besonderes, wenn Frauen schnelle Drehungen oder Power Moves ausführen oder Bewegungen von Drachen oder Schlangen nachahmen."
In China gibt es nur sehr wenige Breakdancerinnen. In diesem stark von Männern dominierten Sport sticht Wang Qing durch ihre Eleganz heraus. 2024 soll Breakdance zum ersten Mal olympisch werden, und sie hofft, dass sie es mit ihrem einzigartigen Style in die Qualifikation schafft. Die Kunstform zeichnet sich normalerweise durch viel Bodenkontakt, gebeugte Knie, einen starken Core und kraftvollen Schwung aus. Aber wenn Wang Qing tanzt, scheint es, als würde sie schweben, denn ihre Bewegungen haben etwas einzigartig Leichtes an sich. "B-Boys lassen in ihre Moves gerne wilde Bewegungen wie die eines Löwen oder Tigers einfließen", erklärt sie. "Natürlich kann man sie imitieren, aber man kann auch seine eigenen femininen Formen kreieren, wie die eines Kaninchens oder einer Katze."
"Ich trainiere wie eine Athletin, um mich wie eine Künstlerin auszudrücken."
Wang Qings Erfolg kam nicht über Nacht. Ursprünglich tanzte sie nur als Workout, und es dauerte zehn Jahre, bis sie ihren eigenen Rhythmus fand und sich voll und ganz in den Sport verliebte. "Ich hatte das Tanzen ein wenig satt und merkte, dass alle Moves, die ich in meinen Videos zeigte, Imitationen von den Moves der B-Boys waren", so Wang Qing. "Meine Top-rock- und Down-rock-Übergänge hatte ich mir alle von anderen Performer:innen abgeguckt. Ich habe nichts Eigenes kreiert, und wenn man mir zusah, konnte man schon ahnen, was ich als Nächstes machen würde."
Sie hat auch ihren eigenen Style entwickelt, indem sie ihre langen Haare offen trägt und auch als Ausdrucksmittel einsetzt. "Entscheidend ist, deinen eigenen Style zu entwickeln und nicht, einen bestimmten Move zu beherrschen, den jemand anderes erfunden hat", sagt sie. Für Wang Qing lässt sich diese Art von Kreativität nicht ohne körperliches Training entwickeln. "Ich trainiere wie eine Athletin, um mich wie eine Künstlerin auszudrücken."
"Breakdance hat mir eine Möglichkeit gegeben, mein wahres Ich auszudrücken."
Mittlerweile ist Wang Qing Vorbild für andere junge chinesische Breakdancerinnen, von denen viele sie um Rat fragen. Ihr wichtigster Tipp? Tanzen als Selbstausdruck. "Für mich ist Breakdance eine Möglichkeit, die alltäglichen Ausdrucksformen in Kunst zu verwandeln", erzählt sie. Als "ruhige und fleißige Studentin", wie sie sich selbst bezeichnet, hilft ihr das Breakdancing, ihre dynamische innere Welt zu zeigen. "Rückblickend war ich als Kind vielleicht gar nicht so introvertiert, wie ich aussah, und das Breakdancing gab mir eine Möglichkeit, mein wahres Ich auszudrücken", meint sie.
2019 wurde Wang Qing eingeladen, sich der führenden Breakdance-Gruppe Green Panda anzuschließen, mit der sie bisher zehn Battles gewonnen hat. Und während sie sich als eine der besten Breakdancerinnen Chinas etabliert und hofft, ihr Land bei den Olympischen Spielen zu vertreten, setzt sie beim Tanzen endlich ihre ganz eigenen Bewegungen um. "In Laotses Buch "Tao te king" vom Sinn und Leben gibt es einen wunderbaren Spruch: 'Wasser ist fließend, weich und nachgiebig. Aber weiches Wasser zermürbt den harten Stein, der nicht nachgeben kann'", erzählt sie. "Das heißt im Grunde, dass etwas Sanftes, Weiches nicht automatisch schwach oder minderwertig ist. Es ist vielmehr ein besonderer Zustand, der vielen Hindernissen widerstehen und sie überwinden kann. Diese Strategie hat schon vielen B-Girls zum Erfolg verholfen."
Film: KC
Fotos: Yuyang Liu
Text: Clarissa Wei
Gemeldet: Juli 2021