Was uns bewegt: Straßentennis

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Diese lebendige Alternative zum Rasentennis ist ein wichtiger Teil der Straßenkultur von Barbados.

Letzte Aktualisierung: 19. Januar 2022
8 Min. Lesezeit
Was uns bewegt: Straßentennis in Barbados

Sport kann vieles sein. In der Serie "Was uns bewegt" erforschen wir, was er für die unterschiedlichen Communitys rund um die Welt bedeutet.

Zwischen den bunten Bauten des Pine-Viertels von St. Michael, Barbados, sieht man auf mit Kreide gezeichneten Plätzen abgewetzte Tennisbälle fliegen, mal scharf und mal elegant. Matches werden mitten in Sätzen unterbrochen, um den Verkehr vorbeizulassen. Zuschauer zählen die Punkte und geben am laufenden Band meist zweideutige Kommentare ab. Ein Spieler macht sich lang, um eine Vorhand zu spielen, landet aber auf dem Asphalt. Alle lachen.

"Dah fuh lick yuh!"

Hört man einen älteren, kartenspielenden Mann auf Bajan scherzen, dem örtlichen Dialekt. (Übersetzt heißt das so viel wie "Geschieht dir recht!")

Was uns bewegt: Straßentennis in Barbados

Das ist Straßentennis.
Das ist Barbados.

Was uns bewegt: Straßentennis in Barbados

Das Spielfeld

Ebene Straßen ohne Schlaglöcher und parkende Autos sind bestens für Straßentennis geeignet. Traditionsgemäß wird von den Spielern ein 3 mal 6,5 m großes Spielfeld aufgezeichnet. Als "Netz" dient eine 20 cm hohe und über 2,5 m lange Sperrholzplatte. Es gibt jedoch immer mehr feste Plätze neben Fußballfeldern und Basketballcourts. Meist sind sie in Gelb und Blau gehalten, den Farben der Flagge von Barbados.

Das Ziel

  • 21 Punkte (mit einem Mindestvorsprung von 2 Punkten) erzielen.
  • Den Ball innerhalb der Spielfeldlinien treffen.
  • Das Netz nicht berühren.
  • Nicht hinfallen.

Die Regeln

  • Ein Satz besteht aus drei Spielen, die jeweils bis 21 Punkte gespielt werden.
  • Der Spieler, der die meisten der drei Spiele gewinnt, gewinnt das Match.
  • Das Aufschlag- und Punktesystem ist das gleiche wie beim Tischtennis.
  • Der Ball muss einmal auf dem Boden aufkommen, bevor er gespielt werden kann.
  • Man bekommt einen Punkt, wenn der Gegner den Ball ins Netz oder ins Aus schlägt oder wenn er den Ball mehr als einmal auf seiner Seite aufkommen lässt.
Was uns bewegt: Straßentennis in Barbados

Ein einheimischer Promi als Fan
Terry "Mexican" Arthur (52)

Mexican ist oft bei Straßentennisturnieren auf der ganzen Insel unter den Zuschauern zu sehen. Der bekannte Soca-Musiker baut bereits seit seiner Kindheit Schläger aus Massivholz, mit denen er und seine Freunde dann spielten.

"Man schleift die Kanten so ab", sagt Mexican, während er mit dem Daumen über die von ihm geschnitzten Schläger reibt. Ein Grund für die Beliebtheit von Straßentennis auf der Insel ist seine Zugänglichkeit: man braucht kein ausgefallenes Equipment. Diese Art einfacher Schläger kommt auch heute noch zum Einsatz. Zu den Tennisbällen hat er Folgendes zu sagen: "Der Filz wird von oben abgezogen. Die Bälle werden sozusagen gehäutet." Erfahrenen Straßentennisspielern zufolge fliegen die Bälle dadurch schneller.

Was uns bewegt: Straßentennis in Barbados

Die Geschichte des Sports

Straßentennis nahm in den 1930er Jahren seinen Anfang, als Reaktion auf die sozioökonomischen Einschränkungen, die viele Einheimische davon abhielten, Rasentennis zu spielen. Als die Insel 1966 ihre Unabhängigkeit von Großbritannien erlangte, blieben viele englische Traditionssportarten wie Rasentennis und Cricket erhalten.

Die postkoloniale Gesellschaft war sowohl ethnisch als auch sozial gespalten. "Straßentennis wurde als Sport der armen Leute bezeichnet", so Dale Clarke, Leiter der Professional Road Tennis Association. "Er ist jedoch ein ursprünglich aus Barbados stammender Sport. Die Barbadier sollten stolz darauf sein."

Jahrelang wurde Straßentennis hauptsächlich in den ärmeren Vierteln gespielt, inzwischen ist er jedoch auf der ganzen Insel verbreitet. "Es ist erfreulich, dass man in fast jeder Community jemanden sieht, der Straßentennis spielt", so Dale. "Es ist schon erstaunlich, wie sehr der Sport gewachsen ist. Überall sieht man aufgezeichnete Spielfelder. Der Straßentennis sorgt dafür, dass die Menschen in Bewegung bleiben."

Was uns bewegt: Straßentennis in Barbados

An der Spitze
Dale Clarke (44)
Titel: Gründer und Vorsitzender der Professional Road Tennis Association

Dale hat es sich zur Aufgabe gemacht, Straßentennis nicht nur in örtlichen Schulen und gemeinnützigen Coaching-Einrichtungen für Kinder, sondern auch als Profisport auf Barbados und in anderen Ländern zu etablieren.

Er ist sehr darum bemüht, Firmensponsoren für seine Turniere zu finden. Diese werden unter Flutlicht und vor relativ großen Zuschauermengen ausgetragen. Mittlerweile gibt es auf der Insel immer mehr Profispieler und -spielerinnen, die Barbados bereits bei internationalen Turnieren in den Vereinigten Staaten und auf den Philippinen vertreten haben. All das hat Clarke möglich gemacht.

Was uns bewegt: Straßentennis in Barbados

Die Profis

Die besten Spieler von Barbados sind dabei, Geschichte zu schreiben. Sie prägen die neue Generation des Sports und fördern ihn in ihrem Land und der Welt. Auch wenn die Spieler und Spielerinnen noch nicht die weltweite Anerkennung bekommen, die Profis in bekannteren internationalen Sportarten genießen, sind sie doch echte Profisportler, deren Entschlossenheit, Talent und Verlangen, die Wahrnehmung ihrer Inselnation zu verbessern, sich auszahlen.

Was uns bewegt: Straßentennis in Barbados

Mark Griffith (36)
Spitzname: Venom
Beruf: Vollzeit-Straßentennisprofi
Rangliste der Männer: Nr. 1

Er wird nicht umsonst "Venom" genannt. Mark ist der erfolgreichste Straßentennisspieler der Insel. Er besitzt ein Strandhaus in Brandons Beach, St. Michael, das mit unzähligen Trophäen geschmückt ist. Er ist hier auf Barbados eine Berühmtheit und aktuell der einzige gesponsorte Vollzeit-Profispieler. An der Spitze zu bleiben erfordert jedoch harte Arbeit – besonders, wenn einem junge Nachwuchstalente die Krone streitig machen wollen. Wie er seiner Konkurrenz immer einen Schritt vorausbleibt? Er steht jeden Tag um 4 Uhr morgens auf, um sein strenges Trainingsprogramm zu absolvieren.

Was uns bewegt: Straßentennis in Barbados

Dario Hinds (25)
Spitzname: CR7
Beruf: Vertriebsmitarbeiter in Vollzeit, Teilzeit-Straßentennisprofi
Rangliste der Männer: Nr. 4

Als 14-Jähriger verbrachte Dario seine Abende damit, Straßentennisspiele auf den Hartplätzen in der Nähe seines Zuhauses zu verfolgen. Eines Tages fragte ihn ein Freund, ob er mitspielen wolle. Der Rest ist bajanische Geschichte. Heute ist er der viertbeste Spieler auf der Insel. "Es gibt hier auf Barbados nicht viele, die mich im Straßentennis besiegt haben. Die, denen es gelungen ist, kann ich an einer Hand abzählen", sagt er.

Was uns bewegt: Straßentennis in Barbados

Sheldene Walrond (44)
Spitzname: Smiling Assassin
Beruf: Senior Officer bei der Küstenwache von Barbados
Rangliste der Frauen: Nr.1

Sheldene verbringt viel Zeit damit, mit männlichen Spitzenspielern zu trainieren. "Die Elite des Sports hält zusammen", sagt sie mit einem Lächeln. Aktuell dominiert sie den Straßentennis der Frauen. Außerdem ist sie eine geborene Entertainerin: "Die Zuschauer lieben es, wenn wir so richtig abliefern."

Sheldenes Ziel ist es, mehr Mädchen an den Straßentennis heranzuführen. "Derzeit spielen lediglich etwa 20 Frauen in der A-Klasse [Top-Spieler bzw. -Spielerinnen der Insel]. In der A-Klasse der Männer sind es manchmal bis zu 80 Spieler", so Sheldene.

Was uns bewegt: Straßentennis in Barbados

Die Sauna: Trainingseinrichtung und Gemeinschaftszentrum

Rund um die Hallenplätze, auf denen sich die Spitzenspieler ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern, herrscht nicht gerade das, was sich die meisten Menschen unter idealen Trainingsbedingungen vorstellen. Es wird Karten gespielt und Shakeem Nurse, eines der vielversprechendsten Nachwuchstalente, bekommt einen neuen Haarschnitt. Doch das ist bei Straßentennisspielen auf Barbados ganz normal. Sie finden statt, während die Einwohner ihren alltäglichen Geschäften nachgehen, und stehen gleichzeitig für geselliges Beisammensein.

"Es ist eine Mischung aus Rasentennis und Tischtennis. Die Farben sind satter, die Geräusche sind lauter und es herrscht unbändige Energie."

Dario Hinds

Was uns bewegt: Straßentennis in Barbados

Auf den Straßen daheim.

Auch wenn es immer mehr Profispieler bzw. Profispielerinnen gibt, wird Straßentennis noch immer in seiner ursprünglichen Form gespielt – nämlich auf den Straßen, wo Schlaglöcher und Passanten die Spielregeln mitbestimmen. Es sind diese Plätze, die schon seit langem den Mittelpunkt der Gesellschaft bilden.

Wir sind wieder zurück im Pine-Viertel. Der vertraute Duft von Pudding und Souse (ein lokales Gericht mit eingelegtem Schweinefleisch) liegt in der Luft. Die Menschen kommen und gehen, verweilen kurz, um ein paar Punkte zu sehen und ein paar Kommentare abzugeben, während sie ihre Besorgungen machen und Freunde besuchen. Das Spiel findet ganz einfach mittendrin statt.

Was uns bewegt: Straßentennis in Barbados

Das ist Straßentennis.
Das ist Barbados.

Was uns bewegt: Straßentennis in Barbados

Das ist Straßentennis.
Das ist Barbados.

Was uns bewegt: Straßentennis in Barbados

Text: Daphne Ewing-Chow
Fotos: Aniya Legnaro
Illustration: David Linchen

Bericht vom September 2020

Ursprünglich erschienen: 19. Januar 2022