Was ist intuitives Essen – und welche Vorteile hat es für deine Gesundheit?

Wenn es um die optimale Ernährung und den richtigen Zeitpunkt zum Essen geht, können die vielen Meinungen und Tipps dazu überwältigend sein – vor allem, wenn sich die Expert:innen anscheinend widersprechen. Es gibt aber einen Ansatz, der viel besser ist als alle Ratschläge: intuitives Essen.

Dieses Konzept wurde von den beiden Ernährungsberaterinnen Evelyn Tribole und Elyse Resch entwickelt. In ihrem 1995 veröffentlichten Buch "Intuitiv abnehmen" stellen sie 10 Prinzipien der Strategie vor. Bei intuitivem Essen wird anstelle eines Konzepts von festen Ernährungsplänen darauf gesetzt, die Signale des Körpers richtig zu deuten, die auf Hunger und Sättigung hinweisen. Die Autorinnen argumentieren, dass durch intuitives Essen Befürchtungen in Bezug auf Ernährung und das "gute" oder "schlechte" Image bestimmter Lebensmittel überwunden werden können.

Beim intuitiven Essen wartest du normalerweise mit deinen Mahlzeiten, bis du Hunger hast, und isst nicht zu geplanten oder gewohnten Zeiten.

"Dies ist ein evidenzbasierter Ansatz für die gesunde Einheit von Körper und Geist", sagt Laurie Allen, zertifizierte Ernährungsberaterin und Assistenzprofessorin der Abteilung für Ernährung an der University of North Carolina in Greensboro. "Dabei geht es hauptsächlich darum, äußere Einflüsse auszublenden und zu lernen, die Signale des Körpers richtig zu deuten und auf sie zu hören."

Im Gegensatz zu Konzepten mit vielen Regeln wie Intervallfasten ist intuitives Essen eine Philosophie, die an bestimmte Ziele und Ansätze angepasst werden kann, sagt Stephanie Hnatiuk, zertifizierte Ernährungsberaterin, die auf Sporternährung spezialisiert ist.

Bei diesem Ansatz geht es darum, Selbstvertrauen und ein Bewusstsein für Ernährung zu entwickeln, um gesünder zu leben, sagt sie. Dadurch entsteht eine Verbindung zwischen intuitivem Essen und mentaler Gesundheit. Zum Beispiel ergab eine Studie aus dem Jahr 2020, bei der das mentale Wohlbefinden von Jugendlichen untersucht wurde, dass bei Personen, die sich im Teenageralter intuitiv ernährten, das Risiko einer Depression vergleichsweise gering war und dass sie als Erwachsene eher zu psychischem Wohlbefinden neigten.

Auch Madison Friel, zertifizierte Ernährungsberaterin am Greater Baltimore Medical Center, sagt, dass du mit intuitivem Essen zudem die Nahrungsmittel und Nährstoffe erkennen kannst, die dein Körper gerade braucht. Wenn du zum Beispiel Appetit auf Lachs hast, kann es sein, dass dein Körper dringend wichtige Nährstoffe braucht, die in Fisch enthalten sind, wie Protein oder Omega-3-Fettsäuren.

"Intuitives Essen basiert auf einem sehr hohen Bewusstsein für die Einheit von Geist und Körper und es geht dabei darum, starre oder festgelegte Ernährungsmuster aufzulösen und stattdessen eine eher instinktive oder intuitive Richtung einzuschlagen", sagt Friel.

Gute erste Schritte hin zu intuitivem Essen sind Strategien für eine achtsame Ernährung, so Friel. Dies bedeutet, die Sinne beim Essen einzusetzen, um komplett in diesem Bewusstsein zu bleiben. Strategien für achtsame Ernährung sind beispielsweise:

• Essen vor dem Probieren erst riechen
• Essen auf der Zunge intensiv wahrnehmen
• Auf die Geräusche beim Kauen achten
• Jeden Happen ohne Ablenkung wie Fernsehen oder Smartphone ansehen

Wie riecht das Essen? Wie ist die Konsistenz des Essens in deinem Mund? Wenn du diese Techniken für achtsames Essen regelmäßig anwendest, kannst du anfangen, deine Wahrnehmung der verschiedenen Nahrungsmittel genauer zu bewerten. Dies geschieht, während du beginnst, deinem Hunger ohne schlechte Gefühle nachzugeben.

Wenn es dir etwas zu viel ist, immer vollständig bewusst zu essen, reicht es oft auch aus, dabei nicht abgelenkt zu sein. So kannst du ein gutes Gefühl für die richtige Ernährung entwickeln, sagt McKenzie Flinchum, zertifizierte Ernährungsberaterin. Sie weist darauf hin, dass es auf diese Weise leichter fällt, langsamer zu essen und dadurch die Signale von Sättigung früher zu erkennen.

"Achtsames Essen kann auch bedeuten, alle Ablenkungen zu vermeiden und einen speziellen Bereich dafür zu nutzen, um sich auf den Genuss aller Aspekte des Essens konzentrieren zu können", sagt Friel.

Eine andere Strategie für intuitives Essen besteht darin, sich in Ruhe und ohne Ausschlusskriterien für Mahlzeiten zu entscheiden, empfiehlt Flinchum. Wenn du aktiv entscheidest, was du wirklich essen möchtest, und nicht nur wegen Stress oder aus Langeweile isst, kommst du eher in das Gleichgewicht mit den Bedürfnissen deines Körpers und fühlst dich gut mit deiner Ernährung.

Wenn es etwas zielgerichteter sein soll, sind lizenzierte, registrierte Ernährungsberater:innen oder zertifizierte Berater:innen für intuitive Ernährung eine gute Hilfe, sagt Hnatiuk. Es ist besonders dann zu empfehlen, mit einer/einem dieser Expert:innen zu arbeiten, wenn zuvor restriktive Ernährungspläne ein Problem waren. Die Umstellung auf intuitives Essen kann ein wichtiger Bestandteil eines größeren Konzepts zum Bewältigen einer Essstörung sein, das mit einer/einem lizenzierten Expert:in ausgearbeitet werden sollte.

"Ich würde allen, die mehr über intuitives Essen erfahren möchten, dringend empfehlen, diesen Übergang gemeinsam mit einer Spezialistin oder einem Spezialisten zu gestalten", rät Hnatiuk. "Es gibt zwar viele sehr gute Bücher zu diesem Thema, aber es ist auch von Vorteil, wenn du eine/n Ansprechpartner:in hast, die/der dich unterstützt und deine Fragen beantwortet."

Da dieser Ansatz im Kontrast zu vielen etablierten Ernährungskonzepten steht, kann er auch bei einem restriktiven Ernährungsplan und Problemen wegen gefährlicher Körperideale helfen, sagt Allen.

"Zum Abnehmen werden oft strenge Ernährungspläne empfohlen, obwohl sich belegen lässt, dass dies langfristig kaum erfolgreich ist und Konsequenzen nach sich zieht, wie zum Beispiel übertriebene Skepsis bei Nahrungsmitteln und mangelndes Selbstbewusstsein", erklärt sie.

Allen stellte bei ihrer täglichen Arbeit fest, dass es sich für Personen, die zuvor Probleme mit Diäten hatten, sehr positiv oder sogar befreiend auswirken kann, wenn es bei den Ernährungsstandards nicht mehr um Kalorien, "schlechte" Lebensmittel oder Sport als Ausgleich für falsche Essentscheidungen geht.

"Intuitives Essen resultiert in mehr Selbstvertrauen und Zufriedenheit mit dem Körper. Zudem wird dadurch weniger emotional gegessen", erklärt sie.

"Wenn du die Signale deines Körpers, die auf Hunger hindeuten, erkennst und richtig auf sie reagierst, erhält dein Körper die Nährstoffe, die er braucht, um dich mit Energie zu versorgen. Und es entfallen die übertriebene Skepsis und die Appetitschübe, die oft bei restriktiven Ernährungsplänen auftreten", sagt sie.

Wie die meisten alternativen Ernährungskonzepte ist auch intuitives Essen nicht unbedingt für alle geeignet.

Man könnte meinen, Hungersignale und Appetitschübe oder emotionales Essen zu erkennen und zu unterscheiden sei einfach, aber das ist oft nicht so, sagt Friel. Bei intuitivem Essen wird zwar nicht zwischen "gutem" oder "schlechtem" Essen unterschieden und auch nicht eingeschränkt, wann oder was gegessen werden darf, aber für die Mahlzeiten müssen trotzdem bewusste Entscheidungen getroffen werden.

"Wenn nicht bereits ein gewisses Maß an Achtsamkeit vorhanden ist, kann intuitives Essen leicht als ungeregelt oder unkontrolliert missverstanden werden", so Friel. "Intuitives Essen kann besonders für Personen, die Wert auf Strukturen und klare Vorgaben legen, wegen seiner Flexibilität und Regellosigkeit eine Herausforderung sein."

Zum Beispiel benötigen Athlet:innen, die aufgrund der Dauer und Häufigkeit ihrer Trainingseinheiten spezielle Bedürfnisse bei der Ernährung haben, normalerweise einen viel stärker strukturierten und im Voraus geplanten Ansatz.

Der Lernprozess kann dabei besonders für Athlet:innen intensiv sein, die vielleicht daran gewöhnt sind, sich an Makronährstoffanteilen zu orientieren, in bestimmten Zeitfenstern vor und nach dem Training zu essen und manche Nahrungsmittel als problematisch anzusehen, sagt Hnatiuk.

Wenn du einfach mehr Sensibilität für die Signale deines Körpers entwickelst – speziell bei Hunger – stärkst du auch dein Gefühl für die Verbindung zwischen Körper und Geist. Du kannst auch eine positive und wichtige Veränderung deines Mindsets bewirken, wenn du dich damit beschäftigst, welche Nahrungsmittel wirklich gut für dich sind.