Dominante vordere Oberschenkelmuskulatur – Bedeutung und Risiken beim Laufen
Sport und Bewegung
Hier zeigen wir dir, wie du feststellen kannst, ob bei dir die vordere Oberschenkelmuskulatur dominant ist. Außerdem erfährst du, wie du Verletzungen vorzubeugen und deine Leistung steigern kannst.
Deine vorderen Oberschenkelmuskeln sind nach dem Laufen besonders verspannt und schmerzhaft? Nach einer längeren Strecke hast du Schmerzen im Knie und bei Squats spürst du deine Gesäßmuskeln nicht? Wenn du diese Fragen mit Ja beantwortest, könnte es sein, dass deine vordere Oberschenkelmuskulatur dominant ist (oder du sie zu sehr beanspruchst).
Und auch wenn eine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur an sich nichts Schlechtes ist, kann sie doch zu Problemen wie einer schlechten Haltung und Laufverletzungen (z. B. Knieschmerzen und dem Schienbeinkantensyndrom) führen. Lies weiter, um zu erfahren, ob du eine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur hast und was du tun kannst, um Verletzungen zu vermeiden und deine Lauf-Performance langfristig zu steigern.
(Verwandter Artikel: So kannst du laut Expert:innen ohne Verletzungsgefahr längere Strecken laufen)
Was ist eine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur?
Sehen wir uns zunächst einmal die Definition an: Der Name verrät schon, dass eine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur ein muskuläres Ungleichgewicht ist. Der Quadrizeps ist eine Gruppe von vier Muskeln, die die Vorderseite des Oberschenkels bilden. Diese werden im Vergleich zu den Muskeln auf der Rückseite der Oberschenkel, des Gesäßes und der Waden übermäßig beansprucht, so Jason Machowsky, Kraft- und Konditionstrainer, Ernährungsberater und registrierter klinischer Trainingsphysiologe.
Die vorderen Oberschenkelmuskeln spielen bei allen Aktivitäten des Unterkörpers, z. B. Laufen, eine wichtige Rolle. Es kann aber auch zu Problemen kommen, wenn sie überbeansprucht werden. "Eine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur bedeutet, dass der Quadrizeps einen Großteil der Arbeit übernimmt und die anderen Muskeln weniger stark beansprucht werden", so Machowsky.
Woher weiß ich, ob ich eine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur habe?
Wenn du regelmäßig läufst und besonders deine vorderen Oberschenkel immer sehr angespannt sind oder wenn du bei anderen Aktivitäten die Anstrengung eher in den vorderen Oberschenkeln spürst als im Gesäß, in den hinteren Oberschenkeln oder in den Waden, dann ist das ein Zeichen dafür, dass du eine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur hast, erklärt Machowsky.
Außerdem kann es sein, dass du bei Dehnübungen für den Quadrizeps oder den Hüftbeuger ein extremes Spannungsgefühl verspürst. Und es ist sogar möglich, dass deine Hüftstreckung eingeschränkt ist. Auch wenn diese Frühwarnzeichen oft nicht direkt wahrgenommen werden, können sie dennoch zu ernsthafteren Problemen wie Schmerzen führen.
Ein typisches Anzeichen für eine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur ist das "Läuferknie". Dabei handelt es sich um eine umgangssprachliche Bezeichnung für eine Überlastungsverletzung – das patellofemorale Schmerzsyndrom – sowie um eine der häufigsten Ursachen für Knieschmerzen. Der Grund?
"Fast immer, wenn jemand eine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur hat, ist diese auch verspannt. Und das wiederum belastet die Kniescheibe. Sie wird in das Kniegelenk gedrückt und plötzlich kommt es beim Gehen oder Treppensteigen zu Knieschmerzen", so Grayson Wickham, Physiotherapeut sowie Kraft- und Konditionstrainer.
Verspannungen der vorderen Oberschenkelmuskulatur und der Hüftbeuger können auch zu Schmerzen im Schienbeinbereich – dem Schienbeinkantensyndrom – sowie zu Hüftschmerzen und -verletzungen führen. "Auch Schmerzen im unteren Rücken können auf eine nicht optimale Beweglichkeit der Hüfte und insbesondere auf eine Schwäche oder unzureichende Aktivierung der Gesäßmuskeln hindeuten. Ist die Gesäßmuskulatur nämlich steif bzw. schwach, muss das der untere Rücken ausgleichen. Viele dieser Dinge sind eine Kettenreaktion", sagt Wickham.
Schlussendlich kann gesagt werden, dass durch eine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur die Gelenke und Muskeln zu stark belastet werden.
"Der menschliche Körper ist wie eine Maschine. Er kann Belastungen bis zu einem gewissen Grad standhalten, doch wenn man es übertreibt, kann es zu Problemen kommen", erklärt Machowsky. So kann sich zum Beispiel der Knorpel im Knie abnutzen. Es ist also extrem wichtig, dass wir auf unseren Körper hören und Schmerzen nicht ignorieren, so Wickham weiter.
Man könnte annehmen, dass Menschen, bei denen die vordere Oberschenkelmuskulatur dominant ist, auch einen Quadrizeps aus Stahl haben. Das ist zwar in der Regel der Fall, doch es ist auch möglich, dass die vordere Oberschenkelmuskulatur schwach ist, obwohl sie dominant ist, so Machowsky.
Was also deutet neben Schmerzen und Spannungsgefühlen noch auf eine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur hin? Ob eine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur vorliegt, überprüfen Expert:innen zum Beispiel, indem sie dich einen einfachen Bodyweight Squat machen lassen. Wenn sich deine Knie beim Runtergehen zu weit nach vorne schieben, ohne dass sich deine Hüfte nach hinten bewegt, kann das darauf hindeuten, dass der Quadrizeps überbeansprucht wird, erklärt Machowsky.
Wenn erkennbar wird, dass sich die Fersen vom Boden abheben – und sei es auch nur ein wenig – liegt auf jeden Fall eine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur vor", so Wickham. Zusätzlich zu diesem Test kannst du auch mit qualifizierten Physiotherapeut:innen, Sportphysiolog:innen oder zertifizierten Personal Trainer:innen zusammenarbeiten, um eine Dominanz mithilfe eines Muskeltests genauer zu bestimmen. Dieser Test kann dir zeigen, wie gut du deine Gesäßmuskeln und deine hintere Oberschenkelmuskulatur aktivieren kannst.
Wie kommt es zu einer dominanten vorderen Oberschenkelmuskulatur? Und ist das etwas Schlechtes?
Eine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur bzw. eigentlich jede Bewegungsstörung entsteht laut Machowsky durch ein Problem mit der Mobilität, der Stabilität oder der Haltung – und jeder dieser Faktoren kann die anderen verstärken.
Insbesondere eine mangelnde Beweglichkeit des Fußes, der Hüfte oder des Sprunggelenks kann eine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur bei Läufer:innen verursachen. "Wenn diese Gelenke nicht beweglich sind, kompensiert der Körper das an einer anderen Stelle, was zu einem nicht optimalen Bewegungsmuster führen kann", so Wickham.
Eine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur kann auch durch einen Mangel an Stabilität entstehen. Stabilität bezieht sich auf die Fähigkeit des Körpers, das Gleichgewicht zu halten und die Gelenke während Bewegungen zu unterstützen. "Ich sehe Läufer:innen, die zwar viel laufen, aber nicht an ihrer Beweglichkeit arbeiten. Sie machen kein Krafttraining und ihre Gesäßmuskulatur wird nicht ausreichend aktiviert bzw. ist generell einfach zu schwach", sagt Wickham.
Und zu guter Letzt kann es auch sein, dass es an der Technik oder am Laufstil selbst liegt. "Wenn sich jemand nur auf die Waden stützt und die Knie stark beugt, führt das mit ziemlicher hoher Wahrscheinlichkeit auch zu einer dominanten vorderen Oberschenkelmuskulatur, fügt Wickham hinzu. Auch eine schlechte Körperhaltung und zu lange Schritte (wenn der Fuß zu weit vor dir aufkommt) können dazu führen, dass du mit einer schlechten Form läufst und deine vordere Oberschenkelmuskulatur dies kompensieren muss, so Machowsky.
Eines solltest du dir jedoch merken: "Eine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur ist nicht per se etwas Schlechtes, es sei denn sie verursacht Schmerzen oder Funktionsstörungen", sagt er. Manche Menschen neigen aufgrund der Länge ihrer Oberschenkel- und Schienbeinknochen beispielsweise genetisch bedingt zu einer dominanten vorderen Oberschenkelmuskulatur. Solange deine Gesäßmuskeln und deine hinteren Oberschenkelmuskeln auch gut trainiert sind und du großen Wert auf Beweglichkeit legst, bedeutet eine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur nicht zwangsläufig, dass du Probleme bekommen wirst, ergänzt Machowsky.
Lässt sich eine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur umkehren?
Zunächst einmal musst du herausfinden, ob eine oder mehrere der drei häufigsten Ursachen für die Überbeanspruchung verantwortlich sind. Anschließend kannst du dich daran machen, diese zu beseitigen. Um es einfach auszudrücken: "Mobilisieren, stabilisieren und auf die Haltung achten", so Machowsky.
Wenn du unter dem Schienbeinkantensyndrom leidest, solltest du deine Waden mobilisieren und dehnen. Wenn du feststellst, dass deine Hüftstreckung durch eine extrem verspannte vordere Oberschenkelmuskulatur eingeschränkt ist oder deine Hüftbeuger verspannt sind, konzentriere dich darauf, diese Bereiche mit der Faszienrolle zu bearbeiten und zu dehnen. "Oft wird übersehen, dass eine korrekte Form nur schwer zu erreichen ist, wenn die nötige Beweglichkeit fehlt", so Wickham.
Du bist Läufer:in und fragst dich, was du tun kannst, wenn deine vorderen Oberschenkelmuskeln dominant sind und du Probleme mit der Beweglichkeit hast? Konzentriere dich zunächst auf Muskel- und Faszienentspannungstechniken (Stichwort Faszienrolle) und mach vor dem Laufen aktive Dehn- bzw. Muskelaktivierungsübungen. Vermeide statische Dehnungen, da diese das Verletzungsrisiko erhöhen können, erklärt Wickham.
"Wenn du dich aktiv bewegen willst, musst du dich auch aktiv dehnen. Um den gewünschten Effekt zu erzielen, ist es wichtig, das Gelenk zuerst zu dehnen und dann zu aktivieren und zu kontrahieren. Eine andere Möglichkeit besteht darin, das Gelenk in einer bestimmten Position über den gesamten Bewegungsumfang zu bewegen. Dadurch verbessert sich mit der Zeit nicht nur der aktive Bewegungsumfang der Gelenke, sondern auch die Fähigkeit, Muskeln zu aktivieren und zu kontrahieren", fügt Wickham hinzu.
Wenn deine Gesäßmuskeln oder deine hinteren Oberschenkelmuskeln schwach sind, solltest du dich auf Übungen zur Stärkung der hinteren Muskelkette konzentrieren. Beide Experten empfehlen die Hip Bridge auf einem Bein als einfache und effektive Übung, die du unbedingt in dein Trainingsprogramm aufnehmen solltest. Abgesehen davon sind auch der Romanian Deadlift auf einem Bein und das Training mit Widerstandsbändern gut geeignet. Das Wichtigste dabei ist, dass du zuerst eine solide Basis schaffen musst.
"Wenn du die Ursache nicht angehst, wirst du das falsche Bewegungsmuster immer weiter verinnerlichen. Die Muskeln in Gesäß und hinteren Oberschenkeln müssen mit bestimmten Bewegungen und Techniken gezielt aktiviert und aktiv gedehnt werden, damit du Kraft und Stabilität aufbauen kannst, so Wickham weiter.
Mit anderen Worten: "Eine gute, aber falsch ausgeführte Übung ist genauso schlecht wie gar keine Bewegung", so Machowsky.
Und schließlich, so Machowsky, ist es wichtig, die Laufhaltung zu überprüfen. "Wenn die Lauftechnik nicht stimmt, du zu lange Schritte machst oder zu viel auf und ab springst, solltest du dies korrigieren. So kannst du für eine insgesamt geringere Belastung sorgen."
Du weißt nicht, wo du anfangen sollst? Professionelle Lauftrainer:innen, Physiotherapeut:innen oder Sportphysiolog:innen können dir dabei helfen, die Ursache für deine dominante vordere Oberschenkelmuskulatur zu finden, und dir zeigen, was du dagegen tun kannst.
Text von Kylie Gilbert