Achtsamkeit auch ohne Meditation
Coaching
Lerne, mit Achtsamkeit beim Sport mehr zu leisten, bessere Beziehungen zu führen und gesünder zu bleiben.
Instagram-Version: Du sitzt bequem und mit geradem Rücken an einem angenehmen Ort, deine Augen sind geschlossen, du bist ruhig und ausgeglichen und konzentrierst dich ausschließlich auf deinen Atem. Realität: Du versuchst verzweifelt, eine Position zu finden, in der dein Rücken nicht weh tut. Und alles, worauf du dich konzentrieren kannst, ist der knarrende Fußboden unter dir. Die zweite Beschreibung kommt dir bekannt vor? Das nennt man Meditation. Die ist schwerer, als sie aussieht, und für viele lange nicht so entspannend, wie gedacht.
Die gute Nachricht ist, dass man seinen Kopf nicht nur durch Meditation frei bekommt. Es gibt auch andere Methoden, um Stress zu reduzieren und sich ruhiger und fokussierter zu fühlen. Wenn man es genau betrachtet, soll einem Meditation nur helfen, achtsamer zu werden. Aber das geht auch anders.
"Achtsamkeit ist Aufmerksamkeitstraining", erklärt Dr. Nick Wignall, klinischer Psychologe am Cognitive Behavioral Institute of Albuquerque. "Sie ist eine Art mentaler Muskel, der zwei Zustände kennt: eine aktive Ebene, auf der Probleme gelöst werden, und eine passivere, bei der die Beobachtung um Zentrum steht."
Wenn dieser Muskel schwach ist, wechselt er schnell wegen jeder Kleinigkeit in einen übererregten Zustand, so Wignall. Aber wenn du ihn trainierst, fällt es dir leichter, deine Emotionen zu regulieren und in allen Situationen kontrolliert zu bleiben, ob bei Auseinandersetzungen mit anderen oder beim Training im Gym. "Im Zusammenhang mit Wohlbefinden, Leistungssteigerung und Beziehungspflege gibt es kaum einen wichtigeren mentalen Helfer", ergänzt er.
"Achtsamkeit ist Aufmerksamkeitstraining. Sie ist eine Art mentaler Muskel, der zwei Zustände kennt: eine aktive Ebene, auf der Probleme gelöst werden, und eine passivere, bei der die Beobachtung um Zentrum steht."
Nick Wignall
Klinischer Psychologe am Cognitive Behavioral Institute of Albuquerque
Achtsamkeit wirkt sich außerdem extrem positiv auf deine physische Gesundheit aus, erklärt Dan Siegel, Professor für Psychiatrie an der UCLA School of Medicine und geschäftsführender Direktor des Mindsight Institute in Los Angeles. Bei konstantem Training kann sie helfen, den Spiegel des Stresshormons Cortisol sowie Blutdruck und Cholesterol senken. Das hilft dem Körper, Entzündungen zu bekämpfen, und stärkt Immunsystem und Regenerationsfähigkeit, so Siegel weiter. "Achtsamkeit kann helfen, die Enden deiner Chromosomen zu reparieren und zu erhalten und so den Alterungsprozess zu verlangsamen."
Wir haben ein paar Tipps für dich, wie du diesen mentalen Muskel auch ohne Meditation trainieren kannst.
- Aufwachen und atmen.
Der Wecker klingelt und du öffnest die Augen. Nimm jetzt erst einmal deinen Atem wahr. "Denk nicht darüber nach, wie du atmest, sondern achte einfach nur auf das Gefühl dabei", empfiehlt Wignall. So startest du bereits achtsam und mit der richtigen Grundstimmung in den Tag.
Natürlich wirst du immer wieder abgelenkt. Du denkst an das Frühstück oder an deine To-do-Liste. Aber das ist völlig okay, erklärt Wignall. "Hauptsache ist, dass du deinen Geist immer wieder 'einfangen' und die Aufmerksamkeit zurück auf deinen Atem lenken kannst." Dein Atem ist wie eine Art innere Musik, die stets für dich da ist. Kehre immer wieder zu ihr zurück, um den Lärm der Außenwelt auszublenden.
- Sei auch in alltäglichen Momenten achtsam.
Schalte nicht einfach auf Autopilot, sondern nimmt deine Umwelt achtsam wahr. Wignall nennt ein Beispiel: "Achte beim Autofahren auf die Vibrationen oder auf die Farbe des Himmels. Nimm die Dinge wahr, ohne sie weiter zu analysieren." Das funktioniert auch beim Abwasch, (wie warm ist das Wasser und wie fühlt sich das Geschirr an?), beim Zähneputzen (wie fühlt sich die Bürste auf deinen Zähnen und deinem Zahnfleisch an?) oder beim Blick aus dem Fenster (beobachte den Nachbarn, der mit seinem Hund spazieren geht). Wenn du es schaffst, deine Umgebung auch in uninteressanten Situationen beobachtend wahrzunehmen, wirst du mit der Zeit ganz automatisch achtsamer.
- Mach einen Bodyscan.
Beginne an einem Ende des Körpers (zum Beispiel bei deinen Füßen) und wandere langsam in die entgegengesetzte Richtung. Konzentriere dich darauf, wie sich Zehen, Fersen, Fußgelenke, Schienbeine, Knie usw. anfühlen. Dabei gibt es keine "Vorgaben". Es geht einfach darum, diese Bereiche physisch wahrzunehmen, ohne zu werten. Das hilft, den Kopf freizubekommen. Durch diese alltägliche Form des Fokussierens schaffst du es, den Lärm in und um dich herum auszublenden, seien es die Gedanken in deinem Kopf oder der knarrende Fußboden unter dir.
Nicht aufgeben
Das alles ist zu vergleichen mit Liegestützen während der Werbepause oder Treppensteigen anstelle von Aufzugfahren. Ähnlich wie deinen Körper solltest du auch deinen Geist – oder besser deine Achtsamkeit – täglich trainieren. Erst dann wirst du die mentalen und physischen Vorteile wirklich spüren, erklärt unser Experte.
Wie beim physischen Training gibt es auch beim mentalen Training verschiedene Formen des "Crosstrainings": Atemübungen vor dem Frühstück, Bodyscan an einem Tag, geführte Mediation am nächsten. Beginne mit 5 Minuten und steigere die Länge deiner Sessions allmählich. Ziel sollten laut Wignall 20 Minuten sein.
Das hört sich nicht leicht an, oder? Soll es auch nicht sein, denn ein effektives Training muss dich fordern, erklärt Wignall. "Die meisten Menschen glauben, Achtsamkeit hat was mit Entspannung und Ausgeglichenheit zu tun." Aber diese Vorteile machen sich erst hinterher bemerkbar. "Achtsamkeit sollte nicht beruhigender sein als Bankdrücken. Sie funktioniert nur, weil sie schwer ist. Deine Muskeln entwickeln sich ja auch nur, wenn du sie forderst", ergänzt er. "Nimm wahr, wenn dein Geist abschweift, und bring ihn einfach wieder zurück. Das ist quasi eine Achtsamkeitswiederholung. Ohne diese Wiederholungen kannst du deinen "Achtsamkeitsmuskel" nicht trainieren.
Wenn du mal frustriert bist, denk daran: Es ist ein gutes Zeichen, wenn dir Meditationen – oder wahlweise auch gesprungene Kniebeugen, Klimmzüge usw. – schwerfallen, so Wignall. Das bedeutet nämlich, dass du an deinen Schwachstellen arbeitest. "Meiner Erfahrung nach macht es bei Menschen, die das begreifen, sehr schnell 'Klick'."