Frag den Coach: "Wie überzeuge ich mich selbst davon, dass ich gut bin?"
Coaching
Eine junge Basketballspielerin fühlt sich wegen einer Glückssträhne wie eine Hochstaplerin. Gut, dass Courtney Banghart, Basketball-Coach der UNC, genau weiß, was zu tun ist.
Frag den Coach liefert dir Tipps und Ratschläge, die dich dabei unterstützen, dein Spiel aufs nächste Level zu bringen.
F:
Lieber Coach,
Früher saß ich mehr auf der Ersatzbank als tatsächlich zu spielen. Jetzt bin ich im Auswahlteam meiner Highschool, und nachdem sich unser Forward im ersten Spiel verletzt hat, gehöre ich sogar zur Startaufstellung. Und nicht nur das – nach der Hälfte der Saison bin ich diejenige in der Mannschaft, die bisher die meisten Punkte gemacht hat. Mein Coach und meine Mannschaftskameradinnen sind von meinem Spiel begeistert, ich aber nicht. Ich habe immer das Gefühl, dass ich das alles nicht verdiene. Und mit jedem Korb, den ich werfe, steigt der Druck, auch wenn wir führen. Wenn wir verlieren, gebe ich mir die Schuld und denke oft tagelang darüber nach. Ich wünschte, ich könnte meinen Erfolg genießen, aber alles, was mir durch den Kopf geht, ist: Wenn ich Mist baue, lande ich wieder auf der Ersatzbank. Wie kann ich mich selbst davon überzeugen, dass ich gut bin und nicht einfach nur Glück gehabt habe?
Exzellent ohne Grund
16-jähriger Basketballspieler
A:
Ich glaube, du kommst noch nicht so richtig mit deinen Gefühlen klar. Aber als Coach habe ich mehr als 20 Jahre Erfahrung im Umgang mit den Gefühlen meiner Spielerinnen und auch meinen eigenen. Deshalb möchte ich dir sagen: Deine Gefühle zählen, und sie sind wertvoll. Sie sind der Beweis für dein Begeisterung und deinen Einsatz.
Du bist Sportlerin, und im Sport gehört Verlieren einfach dazu. Genauso wie Angst, Wut und Verzweiflung. Aber du wirst auch siegen, du wirst dich freuen, triumphieren und euphorisch sein. Jede Medaille hat eben ihre zwei Seiten.
Früher war auch ich erbarmungslos zu mir selbst. In der Highschool habe ich bei den Tennislandesmeisterschaften mitgemacht. Ich erinnere mich, wie ich in einem Match einen Doppelfehler gemacht habe. Ich schrie mir meine Wut aus dem Leib und schleuderte den Schläger auf den Boden.
Ich wusste, dass das nicht der beste Weg war, mit meinen Gefühlen umzugehen, aber in diesem Moment konnte ich einfach nichts dagegen tun. Alles, an was ich denken konnte, war dieser eine Punkt. Rückblickend bewundere ich meine Eltern, die meine Reaktion überhaupt nicht kommentierten. Sie verstanden, dass meine Wut nur ein Ausdruck dafür war, dass mir die ganze Sache sehr wichtig war.
Also, achte auf deine Gefühle.
Vergiss aber nicht: Wenn du die ganze Zeit mit deinen negativen Gefühlen beschäftigt bist, bist du nicht in der Lage, positives Feedback wahrzunehmen. Aber es gibt Möglichkeiten, da wieder ins richtige Gleichgewicht zu kommen.
Wahrscheinlich praktizierst du unbewusst etwas, das ich "selektives Zuhören" nenne. Und das heißt, dass du eigentlich gar nicht zuhörst. Beispiel: Jemand sagt: "Ich finde es toll, wie du den Platz beherrschst. Wir müssen nur noch etwas an deinen Freiwürfen arbeiten". Du hörst aber nur: "Ich muss meine Freiwürfe verbessern. Meine Freiwürfe sind furchtbar. Also bin ich eine furchtbare Spielerin. Und damit bin ich ein furchtbarer Mensch."
Man steigert sich da so schnell rein! Diese Denkweise findet man leider viel zu oft sogar bei Topathlet:innen. Eine meiner besten Spielerinnen fiel jedes Mal, wenn sie daneben warf, in ein tiefes Loch. Eines Tages nach einem schlechten Spiel nahm ich sie zur Seite.
"Wie, denkst du, ist deine Leistung auf dem Spielfeld?", fragte ich sie.
"Ich habe absolut keine Ahnung", antwortete sie.
"Na dann", meine ich, "reg dich auch nicht auf. Sieh dir die Statistiken an und vertrau ihnen."
Denn tatsächlich war diese Spielerin die erfolgreichste im ganzen Team. Aber das einzige, was sie sah, waren die Würfe, die daneben gingen. Auch das ist eine Form der selektiven Wahrnehmung.
"Coaches erwarten nicht, dass man immer gewinnt. Wir erwarten noch nicht einmal, dass du immer auf deinem höchstem Level spielst. Wir erwarten nur, dass du dein Bestes gibst."
Statistiken lügen nicht. Wenn du dir deine Zahlen genau anschaust, beginnst du vielleicht zu verstehen, welche Spielerin du heute bist. Deine Coaches wissen ganz objektiv, wie gut du bist. Das ist ihr Job. Und da sie wissen, zu was du fähig bist, werden sie versuchen, dich dazu zu bringen, dein ganzes Potenzial zu entfalten.
Jetzt wirst du wahrscheinlich denken: "Aber genau das ist doch das Problem! Wie soll ich ihre Erwartungen erfüllen?" In diesem Fall muss ich dir etwas erklären: Coaches erwarten nicht, dass man immer gewinnt. Wir erwarten noch nicht einmal, dass du immer auf deinem höchstem Level spielst. Wir erwarten nur, dass du dein Bestes gibst.
Jeder erfahrene Coach weiß, dass Verlieren zum Spiel gehört. Der Grund, warum du so viel Angst vor dem Verlieren hast, mag vielleicht auch darin liegen, dass du noch nicht genug Spielerfahrung hast.
Ich habe mal eine Rhodes-Stipendiatin trainiert. Sie war das, was wir einen "Overachiever" nennen. Sie litt entsetzlich unter ihren Versagensängsten, obwohl sie in fast allem, was sie bisher gemacht hatte, erfolgreich gewesen war. Verlieren war etwas, was ihr völlig fremd war. Sie war wie eine Taucherin, die in das dunkle Wasser vor sich blickt und nicht weiß, wie tief oder kalt es ist oder ob dort Piranhas auf sie warten.
Deine Situation ist etwas anders. Du weißt noch nicht wirklich, was Erfolg ist. Du hast dich noch nicht daran gewöhnt, ganz oben mitzuspielen, und du weißt nicht, wie tief du fallen kannst. Was aber in beiden Situationen gleich ist, ist die Angst vor dem Unbekannten. Deshalb sage ich dir jetzt dasselbe wie meiner Rhodes-Stipendiatin: Scheitern ist völlig OK. Das sagt dir jemand, der schon viele Male gescheitert ist. Und ich stehe immer noch. Tatsächlich bin ich dadurch sogar stärker geworden.
Das ist nur einer der Gründe, warum Athlet:innen meiner Meinung nach so mutig sind. Vor Publikum zu scheitern gehört für euch zum Leben dazu! Du beschäftigst dich fast die ganz Zeit mit etwas, das leicht schief gehen kann. Und trotzdem bist du jeden Tag wieder mit dabei, obwohl du weißt, dass viele dieser Tage alles andere als leicht sein werden. Das nennt man Mut.
Deine Teamkameradinnen und deine Coaches befinden sich in derselben Lage wie du. Auch sie werden ähnliche Ängste haben. Du bist also nicht allein, und du wirst es auch niemals sein. Denk daran, wenn du das nächste Mal wieder ins Grübeln kommst. Dann wird sich deine Angst vielleicht verlieren.
Coach Banghart
Courtney Banghart ist leitende Damen-Basketball-Trainerin an der University of North Carolina in Chapel Hill. Zuvor war sie Head Coach an der Princeton University, wurde 2015 zum Naismith National Coach of the Year ernannt und arbeitete 2017 als Assistenztrainerin für die US-amerikanische U23-Damen-Nationalmannschaft im Basketball. Banghart, eine Top-Spielerin in Dartmouth, stellte den bislang ungebrochenen Ivy-League-Rekord für Dreier in einer Karriere auf. Banghart ist Vorstandsmitglied der Women’s Basketball Coaches Association und Mitglied des NCAA Women’s Basketball Oversight Committee.
Schick uns deine Frage zu Mindset, Sport oder Fitness per E-Mail an askthecoach@nike.com.
Fotos: Jayson Palacio
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