Training mit geschlossenen Augen
Coaching
Wissenschaftler raten, Power Naps ins Training zu integrieren. Hier erfährst du, wie du durch Nichtstun ein besserer Athlet wirst.
Du planst Regenerationstage ein, hast eine ganze Sammlung von Faszienrollen und lockerst deine Muskeln regelmäßig mit Yoga-Sessions. Und trotzdem hast du beim Training schwere Beine? Dann ist es vielleicht Zeit für ein Nickerchen.
"Ein kurzes Nickerchen ist eine häufig unterschätzte Möglichkeit für Athleten, ihre Performance zu verbessern, ohne viel dafür "tun" zu müssen", erklärt Amy Bender, Juniorprofessorin für Kinesiologie an der Universität von Calgary in Kanada.
Ein effektiver Kurzschlaf aktiviert das parasympathische Nervensystem (sogenannte Rest-and-Digest-Reaktion). Dadurch kehrt der Körper zurück in die Homöostase, in der er sich selbst reguliert. Herzschlag und Blutdruck sinken, die Muskeln entspannen sich und der Energiespeicher wird aufgeladen, so Bender. Erst mit all diesen physiologischen Änderungen kann dein Körper den Stress reduzieren und sich regenerieren. Ein Nickerchen ist so etwas wie ein Systemneustart: Wenn du runterfährst und kurz komplett abschaltest, fühlst du dich nach dem "Hochfahren" wieder voller Energie.
"Selbst ein kurzes Nickerchen kann die Reaktionsfähigkeit verbessern", unterstreicht Dr. med. Cheri Mah, Ärztin und Wissenschaftlerin am UCSF Human Performance Center und Mitglied des Nike Performance Council, die sich auf den Zusammenhang zwischen Schlaf und Performance bei Leistungssportlern spezialisiert hat. Studien zeigen, dass kurze Schlafeinheiten viele positive Auswirkungen haben: Sie können die RPE (Rate of Perceived Exertion) senken, mit der die subjektive Wahrnehmung von körperlicher Anstrengung gemessen wird, und sie können deine Ausdauer noch am selben Tag steigern. Dann kannst du beim HIIT-Workout noch mehr geben oder läufst beim Training ein paar Kilometer mehr.
Um wirklich von diesen Vorteilen zu profitieren, brauchst du die richtige Schlafstrategie. Hier kommen ein paar Tipps für den richtigen Mittagsschlaf.
Ein Nickerchen ist so etwas wie ein Systemneustart: Wenn du runterfährst und kurz komplett abschaltest, fühlst du dich nach dem "Hochfahren" wieder voller Energie.
Dein "Schlaffenster"
Für optimale Performance beim Nachmittags- oder Abendtraining solltest du deinen Mittagsschlaf zwischen 13 und 16 Uhr machen, empfiehlt Bender. "Das entspricht dem natürlichen Aufmerksamkeitsabfall im sogenannten zirkadianischen Rhythmus und beeinträchtigt daher nicht deinen normalen Nachtschlaf."
Wichtig ist außerdem, wann du danach mit dem Training beginnen möchtest. Vor allem bei einem Mittagsschlaf von 90 oder mehr Minuten solltest du dir 95 bis 155 Minuten Zeit bis zum Training lassen, um dieses träge, schwere Gefühl loszuwerden, das dich normalerweise nach dem Aufwachen überkommt, rät Bender.
Wenn du nur ein kurzes Nickerchen machst, kannst du die Zeit zwischen Aufwachen und Training auch verkürzen. Eine im Journal of Biological and Medical Rhythm veröffentlichte Studie empfiehlt einen 25-Minuten-Schlaf zwei bis drei Stunden vor dem Training, um die Leistung zu steigern. Das ergibt bessere Ergebnisse als ein Schlaf, der vier Stunden vorher endet. Der Grund dafür steht noch nicht fest, aber Bender glaubt, dass ein Schlaffenster von zwei oder drei Stunden für die richtige Balance zwischen Trägheit nach dem Aufwachen und dem Beginn der Überaktivität bedingt durch das sympathische Nervensystem ist.
Wähle die richtige Schlafdauer
Um sofort wieder fit zu werden: 10 Minuten
Doch, das stimmt! Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass ein 10-Minuten-Nickerchen sehr erholsam sein kann. In einer im Magazin Sleep veröffentlichten Studie haben Forscher herausgefunden, dass ein Mittagsschlaf von 10 Minuten nach einer kurzen Nacht die Aufmerksamkeit sofort verbessert und die kognitive Leistung für bis zu drei Stunden steigern kann. Die Teilnehmer mussten für diese Studie mehrere Tests zur optischen Reaktionszeit und zur kognitiven Leistungsfähigkeit absolvieren, doch eine höhere Aufmerksamkeit und eine bessere Hirnaktivität können dir auch beim Training helfen, um zum Beispiel eine Choreografie besser im Kopf zu behalten oder bei dynamischen Bewegungen schneller zu reagieren.
Damit alles passt: 20 Minuten
Die National Sleep Foundation empfiehlt dies als optimale Länge für einen Mittagsschlaf. Damit profitierst du optimal von Vorteilen wie erhöhte Aufmerksamkeit, verbesserte Leistungsfähigkeit und Vertrauen in diese Leistung, mehr Willensstärke und bessere Laune. Diese Form des Nickerchens wird auch gerne "Power Nap" genannt.
Wenn du mehr Energie brauchst: 30 Minuten
Ein Mittagsschlaf von einer halben Stunde kann dir helfen, mentale oder physische Leistungseinbrüche am Nachmittag, bedingt durch zu wenig Schlaf oder zu viel Training, zu überwinden. Zu diesem Ergebnis kommt eine im Magazin Medicine & Science in Sports and Exercise veröffentlichte Studie. 30 Minuten Schlaf vor einem Training oder einem Fitness-Event sind eine gute Idee, wenn du dich angeschlagen fühlst. Dabei fällst du nicht in den Tiefschlaf, der dich schlapp macht, erklärt Bender.
Für eine optimale Muskelleistung: 45 Minuten
Eine im Magazin Frontiers in Physiology veröffentlichte Studie zeigt, dass ein 45-Minuten-Nickerchen für die Leistungssteigerung optimal geeignet ist. Dabei sinkt die RPE, wie ein 5-Meter-Shuttle-Run-Test ergab. In diesem Fall ist die Tiefschlafphase erwünscht. Sie beginnt normalerweise ca. 30 Minuten nach dem Einschlafen und ist wichtig für die Regeneration bei einem anstrengenden Trainingsplan.
Wenn du die Nacht zuvor schlecht geschlafen hast: 90 Minuten
Ein wirklich langer Mittagsschlaf empfiehlt sich laut Bender, wenn du in der Nacht zuvor sehr schlecht geschlafen hast. Bei diesem langen Mittagsschlaf durchläufst du einen kompletten Schlafzyklus vom leichten Schlaf bis zum Tiefschlaf, bei dem Wachstumshormone freigesetzt werden. Diese sind für die Erholung wichtig. Außerdem durchläufst du auch die REM-Phase, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen das Gedächtnis verbessert und somit wichtig für das Erlernen neuer Bewegungen ist. Du wachst trotzdem rechtzeitig vor dem nächsten Zyklus auf. Profi-Tipp: Stell deinen Wecker auf eine Zeit etwas über 90 Minuten. So hast du Zeit einzuschlafen und hast eine größere Chance, von selbst aufzuwachen, bevor der Wecker klingelt.
Der richtige Rhythmus
Es gibt keine festen Regeln, wie oft du einen Mittagsschlaf machen solltest. Bender empfiehlt Sportlern, mindestens drei Mal in der Woche ein Nickerchen zu machen. Die Dauer der verschiedenen Schlafphasen variiert dabei, je nachdem, ob man lange schläft oder den Schlaf unterbricht, erklärt Dr. Mah. An Tagen, an denen dein Körper nicht so viel Regeneration braucht, solltest du daher lieber in der Nacht acht Stunden am Stück schlafen.
Was du auf keinen Fall machen solltest? Den Mittagsschlaf als Ersatz für schlechten Nachtschlaf nutzen. Das Nickerchen sollte Teil deiner Regenerationsstrategie sein und kein Notpflaster.