Trainingsstillstände überwinden
Coaching
Du möchtest mehr Leistung bringen? Stell dich strategisch auf deinen Körper ein – oder lenk deine Aufmerksamkeit bewusst von ihm weg. Wie das geht, erfährst du hier.
- Wenn du immer wieder gedankenlos das Gleiche tust, kann das zu einem Stillstand führen.
- Wenn du deine Aufmerksamkeit während des Trainings verlagerst, kannst du eine bessere Leistung erzielen, aber unterschiedliche Situationen erfordern unterschiedliche Strategien.
- Sich auf die beanspruchten Muskeln zu konzentrieren und sich mit Musik abzulenken, kann ebenso effektiv sein – lass deine Energie entscheiden.
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Stell dir vor, du läufst denselben steilen Trail, auf dem du schon seit einem Monat mehrmals pro Woche unterwegs bist. Du hast es schon mit dem idealen Snack vor dem Lauf probiert und alle zwei Minuten auf deiner Laufuhr gecheckt, ob du auf dem Weg zu deiner neuen persönlichen Bestzeit bist. Aber deine Zeit hat sich seit Wochen nicht verbessert. Halloooo... neue Trainingsimpulse ... wo seid ihr? Und jetzt stell dir Folgendes vor: Du läufst besagten Trail und eine Freundin ruft an. Ganz in euer Gespräch vertieft läufst du weiter – und bist plötzlich oben am Ende des Trails angekommen, 10 Minuten schneller als sonst.
Was zur …?
Worauf du dich während des Trainings konzentrierst, kann sowohl positiven als auch negativen Einfluss auf deine Leistung haben, erklärt Dr. Lennie Waite, zertifizierte Beraterin für mentale Performance in Houston, Texas. Die meisten Menschen gehen davon aus, dass sie beim Sport genau auf ihren Körper achten müssen, um bessere Leistungen zu bringen, schneller zu werden oder länger durchzuhalten, aber das ist nicht immer der Fall, so Waite weiter. Manchmal muss man seine Aufmerksamkeit weg von der rein körperlichen Aktivität lenken, um mehr Spaß zu haben, sich wohler zu fühlen und seinen Trainingsstillstand zu überwinden.
Es gibt drei Mentaltechniken, die du während deines Trainings, eines Rennens oder Wettkampfs anwenden kannst, um deine gesamte Routine effektiver und deinen Fortschritt eindrucksvoller zu gestalten und Wettkämpfe und ähnliche Situationen positiver zu erleben. Hier erfährst du, wann und warum du sie anwenden solltest.
1. Aktives Wahrnehmen: für die Rennen, Events oder täglichen Workouts, bei denen du eine persönliche Bestleistung erreichen willst.
Wenn du deine schnellste Laufzeit über 5 Kilometer oder die Nummer eins der Bestenliste anstrebst, kannst du deine Leistung verbessern, wenn du dich darauf konzentrierst, wie sich dein Körper fühlt, so Waite. Oft glauben Athlet:innen fälschlicherweise, dass sie Probleme mit ihrer Atmung haben und geraten in Panik, erklärt sie. Aber wenn sie mental einen Schritt zurück treten und sich bewusst machen, wie gut ihr gesamter Körper funktioniert und wie gut auch ihr Körpergefühl ist, erkennen sie, dass es ihnen gar nicht an Sauerstoff fehlt, und sie könnten weitermachen. "Wenn du deinen Körper bewusst wahrnimmst, merkst du oftmals, dass es dir gut geht und dass sich diese Warnsignale für eine körperliche Ermüdung immer viel früher einstellen, als sie müssten", so Waite.
Mit anderen Worten: Viele von uns lassen ihren Geist von ihrem Körper steuern, nicht umgekehrt, so White. "Erfolgreiche Athlet:innen haben gelernt, wie folgt zu denken: 'Wie geht es mir physiologisch wirklich? Mir geht es gut, also werde ich diese Warnsignale auf dem nächsten Kilometer oder den nächsten fünf Kilometern einfach ignorieren.'" Fang an, auf das Aufsetzen deiner Füße, auf deine Atemfrequenz, deinen Herzschlag oder die Leichtigkeit deiner Schritte zu achten. So kannst du darauf vertrauen, dass es dir gut geht – und wahrscheinlich so gut, dass du dich noch ein bisschen mehr pushen kannst, so Waite.
Ähnlich kann es dir helfen, beim Kraftzirkeltraining bessere Ergebnisse zu erzielen, wenn du dich aktiv auf deinen Körper einstellst – und beim nächsten, und so weiter. Indem du dich auf die Muskeln konzentrierst, die du während einer Übung anspannst (man bezeichnet das als Muscle-Mind-Connection, also als Verbindung zwischen Muskeln und Geist), kannst du diese Muskeln effizienter trainieren, weiß Dr. Lars L. Andersen, Professor am National Research Centre for the Working Environment in Kopenhagen, Dänemark. In einer von Andersen geleiteten Studie fand man heraus, dass beispielsweise die Aktivität der Brustmuskeln erhöht werden kann, wenn man sich während des Bankdrückens auf diese Muskelgruppe konzentriert. Die mentale Aufmerksamkeit verstärkt die neuromuskuläre Verbindung – und je aktiver die Muskeln pro Wiederholung, desto größer die anschließende Verbesserung der Kraft. Denk also bei einer Plank an deinen Core, beim Kreuzheben an die Gesäßmuskulatur, beim aufrechten Rudern an den Latissimus usw., um deine Muskeln bei jeder Wiederholung so optimal wie möglich zu trainieren.
Wenn du allerdings mit sehr hoher Intensität trainierst (z. B. bei One-Repetition-Maximum oder kurz 1RM), solltest du diese Mentaltechnik nicht anwenden, da du dich durch die Konzentration auf die extrem angespannten Muskeln überfordert fühlen könntest. Und das ist ja nicht Sinn der Sache. In diesem Fall solltest du lieber die nächste Technik ausprobieren.
2. Passives Ablenken: Für die Workouts, die du gut kennst, die dich aber immer noch herausfordern, oder für diejenigen, bei denen dir der nötige Schwung fehlt.
Wenn dein Gehirn leicht abgelenkt ist – oft klappt das mithilfe von Musik –, kann dir das zu einer angenehmeren und effizienteren Session verhelfen. Die richtige Musik kann nicht nur deine Motivation steigern, sondern mittels unterstützender Songtexte und eines dynamischen Beats auch die Signale verstärken, mit denen dein Gehirn die Muskeln zum Arbeiten anweist, erklärt Dr. Marcelo Bigliassi, Assistenzprofessor für Psychophysiologie an der Florida International University in Miami. Er fand diesen Zusammenhang im Rahmen einer Studie heraus, die sein Team in der Zeitschrift Physiology & Behavior veröffentlichte. Der Grund für dieses Verhalten? Die vom Körper weg gelenkte Aufmerksamkeit kann helfen, das Gehirn vor den leistungsmindernden Auswirkungen der Ermüdung zu schützen.
Ganz gleich, ob du läufst, Rad fährst, Gewichte hebst oder HIIT-Workouts machst: Die "richtige" Musik ist die, die dir am besten gefällt, so Bigliassi. Probier verschiedene Genres aus, um herauszufinden, was für dich funktioniert. Vielleicht dachtest du immer, Hip-Hop sei genau dein Ding – und stellst dann fest, dass der Grunge der 90er viel besser zu dir passt. Je intensiver dein Training, desto besser eignen sich Songs mit starken textlichen Affirmationen oder Worten, die dich an deine Stärke und Dominanz erinnern. Dies animiert dich wahrscheinlich eher, mehr Energie in dein Training zu stecken und die Muskelaktivität zu steigern, wenn du sie am meisten brauchst, fügt Bigliassi hinzu.
Übrigens: Wenn du einfach nur abschalten möchtest und die Zeit schneller rumgehen soll, z. B. bei einem Spaziergang an der frischen Luft oder beim Cardiogerätetraining, kann auch das Hören von Hörbüchern oder Podcasts gut funktionieren.
3. Aktives Ablenken: Für die richtig, richtig harten Trainingssessions, bei denen du immer wieder versuchst, dich zu verbessern.
Ein körperlich anstrengendes Training wie z. B. das anfangs erwähnte Laufen auf dem steilen Trail kann dich mental schnell erschöpfen, sodass du immer langsamer wirst oder ganz aufhörst, erklärt Waite. Deshalb musst du dich mental manchmal komplett von körperlicher Anstrengung lösen und den Schwung aufrechterhalten.
Das nämlich hatte Andersen in einer weiteren Studie festgestellt, in der Patient:innen, die unter Rückenschmerzen litten, während einer Ausdauerübung für die Bauchmuskeln eine Mathematikaufgabe lösen mussten, geistig also stark von ihrer körperlichen Aktivität abgelenkt waren. Das ist nur ein (superspezifisches) Beispiel dafür, wie du deine Aufmerksamkeit vollständig von dem ablenken kannst, was dein Körper gerade tut, ohne dass die kleine Stimme in deinem Kopf dir sagt, dass du nicht weitermachen kannst.
Diese Technik funktioniert am besten bei herausfordernden Übungen, die du schon so oft gemacht hast, dass du weißt, was dich erwartet – anderenfalls riskierst du Verletzungen. Aber es gibt noch einen weiteren Grund: "Vor allem, wenn du immer Dasselbe machst oder sich deine Trainingsumgebung nie ändert, weißt du jedes Mal genau, wann deine Rückenschmerzen eingesetzt haben", so Waite. "Du denkst 'Jetzt kommt dieser echt anstrengende Anstieg', 'Dieses Gelände ist wirklich schwierig' oder 'Genau hier brennt die Sonne immer auf den ganzen Körper.'" Diese negative Erwartung kann sich dann physiologisch auswirken. "Du verspannst beispielsweise in deinen Schultern, atmest flacher und deine Herzfrequenz erhöht sich automatisch", erklärt Waite. Mit anderen Worten: Du verschwendest deine Energie schon lange, bevor der "harte" Teil überhaupt kommt.
Was solltest du also beim nächsten Mal machen? Wenn du versuchst, in einem sicheren Bereich (also nicht auf dem Seitenstreifen einer Straße) eine neue persönliche Bestzeit zu laufen, solltest du mit jemandem aus deiner Familie oder dem Freundeskreis telefonieren und dich konzentriert über etwas wirklich Interessantes oder Komplexes unterhalten. Oder du spielst ein mentales Spiel – zähl beispielsweise, wie viele Menschen auf deiner Laufstrecke etwas Blaues tragen, oder unterhalte dich mit deinem Laufpartner oder deiner Laufpartnerin. Die Ablenkung kann genau das sein, was du brauchst, um Fortschritte zu machen. "Das lenkt dich davon ab, zu sehr auf deine körperliche Anstrengung zu achten", so Waite. Sie ergänzt: "Besonders bei angenehmen Gesprächen bleibst du eher entspannt und locker, atmest tief ein und nutzt den ganzen Sauerstoff, anstatt dich ungewollt selbst einzuschränken."
Zumindest ist es eine Gelegenheit, sich mit deinem Vater auszutauschen.
Text: Caitlin Carlson
Illustration: Davide Bonazzi
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