Frag den Coach: "Wie geh ich mit einem fiesen Teamkollegen um?"

Coaching

Coach Gjert Ingebrigtsen aus Norwegen gibt einem jungen Fußballspieler Tipps, wie er am besten mit den Schikanen seines Teamkollegen umgeht und ihn für dessen Verhalten zur Verantwortung ziehen kann.

Letzte Aktualisierung: 20. September 2021
7 Min. Lesezeit
So geht man mit Schikanen und Mobbing um – Coach Gjert Ingebrigtsen

Frag den Coach liefert dir Tipps und Ratschläge, die dich dabei unterstützen, dein Spiel aufs nächste Level zu bringen.

F:

Hallo Coach,

in meinem Team gibt es einen Spieler, der mir das Leben zur Hölle macht. Ich kann ihm wirklich gar nichts recht machen. Letzte Woche habe ich den alles entscheidenden Treffer erzielt und er beschimpfte mich als "Egoist", denn seiner Meinung nach hätte ich ihm den Ball zuspielen müssen. Die Ironie dabei ist, dass ich das im letzten Spiel getan habe, woraufhin er mich jedoch anschrie und als "Feigling" bezeichnete, der sich nicht traut, aufs Tor zu schießen. Er tut so, als wolle er die Siegermentalität in uns wecken, aber ich fühl mich dadurch wie ein echter Versager. Und nicht nur ich: Er verhält sich gegenüber den meisten Teamkollegen wie ein Arsch. Dementsprechend schlecht ist auch die Stimmung in unserem Team. Wie werde ich mit seiner ständigen Kritik fertig, damit ich mich wieder auf das Wesentliche – mein Spiel – konzentrieren kann?


Hearing Every Last Point

17-jähriger Fußballspieler

A:

Zuallererst möchte ich dir sagen, wie leid es mir tut, dass du dich in einer solchen Situation befindest. Es ist ein schreckliches Gefühl, wenn man angeschrien oder beleidigt wird. Es ist ein richtiger Teufelskreis. Wenn jede Aktion von dir verurteilt wird, dann brennt sich das in dein Gedächtnis ein. Du denkst dann: "Wenn ich abspiele, ist es falsch. Wenn ich nicht abspiele, ist es auch falsch!" Die Folge? Du wirst handlungsunfähig, gelähmt vor Angst. Darunter leidet zwangsläufig deine Performance.

So kann das Verhalten eines Einzelnen den Zusammenhalt, die Motivation und die Leistung des gesamten Teams beeinträchtigen. Mir ist aufgefallen, dass Spieler, die schikaniert werden, mit der Zeit selbst anfangen, andere zu schikanieren – eine Art Dominoeffekt. Und wenn schlechte Stimmung im Team herrscht, geprägt von Negativität und Frustration, sinkt die Leistung aller.

In keiner Sportart kann und sollte so ein Verhalten toleriert werden. Als Coach bin ich der festen Überzeugung, dass ein guter Umgang miteinander wichtiger ist als jede Trophäe oder Medaille. Dies bedeutet mehr, als nur eine gute Sportlerin oder ein guter Sportler zu sein. Es bedeutet, ein guter Mensch zu sein. Deshalb mach ich zu Beginn jeder Saison allen Spielern klar, welches Verhalten von ihnen erwartet wird und welche Konsequenzen es nach sich zieht, wenn sie gegen die Verhaltensregeln verstoßen. Das gilt für jeden, ohne Ausnahme – für den Torschützenkönig, den besten Spieler der Mannschaft und in meinem Fall auch für meine Kinder.

Der Grund, weshalb ich Coach wurde, sind meine Söhne Henrik, Filip und Jakob. Früher trainierte ich sie im Skilanglauf und im Fußball. Mittlerweile konzentrieren wir uns auf den professionellen Mittelstreckenlauf.

So geht man mit Schikanen und Mobbing um – Coach Gjert Ingebrigtsen

Meine Söhne (wer genau, verrate ich nicht) befanden sich mitunter auf der anderen Seite. Sprich, sie waren die Arroganten und äußerten sich vor oder nach Events oder Trainingseinheiten negativ gegenüber anderen Sportlern. Ich musste sie beiseitenehmen und sie ermahnen, dass man so nicht mit anderen spricht und sie erst wieder mitmachen dürfen, wenn sie ihr Verhalten ändern. Es ist meine Aufgabe, Fehlverhalten innerhalb meines Teams im Keim zu ersticken und deshalb habe ich auch meinen Söhnen immer klare Grenzen aufgezeigt.

Die Schikane anderer ist bei Weitem nicht auf den Sportbereich beschränkt. Auch in Schulen, Büros oder in der Nachbarschaft ist man nicht dagegen gefeit. Doch da beim Sport der Adrenalinspiegel besonders hoch ist (insbesondere, wenn es um etwas geht), gerät eine Situation schneller als sonst außer Kontrolle.

Ich bin der festen Überzeugung, dass ein guter Umgang miteinander wichtiger ist als jede Trophäe oder Medaille. Dies bedeutet mehr, als nur eine gute Sportlerin oder ein guter Sportler zu sein. Es bedeutet, ein guter Mensch zu sein.

Manche Menschen werden beispielsweise aggressiv, wenn sie getrunken haben. Wenn sie wieder nüchtern sind, zeigt sich bei vielen Reue und sie entschuldigen sich für ihr Verhalten. Vielleicht verstehen sie nicht einmal, wie sie derart die Kontrolle verlieren konnten. Das nächste Mal, wenn du wieder zur Zielscheibe deines Teamkollegen wirst, erinner dich daran. Das soll sein Benehmen keinesfalls entschuldigen, sondern dir nur bewusst machen, dass es überhaupt nichts mit dir zu tun hat. Er und seine mangelnde Selbstbeherrschung sind das einzige Problem.

Indem du dir das immer wieder vor Augen führst, schaffst du eine mentale Distanz zwischen dir und deinem Teamkollegen und kannst dich wieder auf dein Spiel konzentrieren. Und sollte das nicht helfen, versuch es mit physischer Distanz und lass ihn einfach stehen, wenn er dich das nächste Mal provoziert.

So geht man mit Schikanen und Mobbing um – Coach Gjert Ingebrigtsen

Natürlich wird dadurch die Ursache des Problems nicht beseitigt. Menschen, die andere schikanieren, werden ihr Verhalten erst dann ändern, wenn sie die direkten Folgen zu spüren bekommen. Sie werden erst dann lernen, sich trotz hohem Adrenalinspiegel in den Griff zu bekommen, wenn sie merken, dass ihr Handeln zu weniger Spielzeit (oder einer Niederlage) führt.

Deshalb ist es so unglaublich wichtig, dass du mit deinem Coach darüber sprichst. Ich weiß, dass das sehr viel Mut erfordert, aber es ist der richtige Schritt. Es ist die Aufgabe deines Coaches, das Gespräch mit deinem Teamkollegen zu suchen – nicht deine.

Wieso? Erstens würdest du dadurch Gefahr laufen, dass er sich an dir rächt. Zweitens muss dein Coach gleich zwei Pflichten erfüllen: Er muss den gegenwärtigen Schikanen ein Ende setzen und gleichzeitig verhindern, dass es jemals wieder so weit kommt.

Ich hoffe, dein Coach setzt alle Hebel in Bewegung, um den Frieden für dich und das gesamte Team wiederherzustellen. Dadurch wird nicht nur dein Teamkollege davon abgehalten, andere weiter zu schikanieren. Zusätzlich wird eine Teamkultur geschaffen, in der jeder den anderen unterstützt und alle wissen, dass sie offen ansprechen können, wenn ihnen etwas auf dem Herzen liegt.

Du kannst stolz darauf sein, wenn du diese Kultur mitbegründest. Vielleicht erzielst du dadurch sogar mehr Treffer und dein Team fährt mehr Siege ein. Dein fieser Teamkollege realisiert vielleicht irgendwann, dass er euch alle ausgebremst hat. Und wenn das alles nicht zu ihm durchgedrungen ist und er es nicht für wichtig hält, andere mit Respekt zu behandeln? Nun, in diesem Fall wird er wahrscheinlich bald nicht mehr in eurem Team sein.


Coach Ingebrigtsen

Gjert Ingebrigtsen ist ein Leichtathletik-Coach aus Norwegen, der seine Söhne Henrik, Filip und Jakob trainiert. Sie gehören zu den besten Mittelstreckeläufern Europas und haben alle drei bei Europameisterschaften bereits Gold über 1.500 Meter gewonnen. Jakob war zudem Olympiasieger 2020 im 1.500-Meter-Lauf, gewann Gold über 5.000 Meter bei den Europameisterschaften und ist bis dato der jüngste Läufer aller Zeiten, der eine Meile in unter 4 Minuten lief. Ohne jegliche Erfahrung im Laufen schaffte es Gjert Ingebrigtsen, seine eigene Coaching-Philosophie auf Grundlage strenger Abläufe und regelmäßiger Leistungskontrollen zu entwickeln. Im Jahr 2018 wurde er zum norwegischen Sport-Coach des Jahres gekürt.

Schick uns deine Frage zu Mindset, Sport oder Fitness per E-Mail an askthecoach@nike.com.

Fotos: Constantin Mirbach

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Ursprünglich erschienen: 14. September 2021