Trainieren wie ein Tier

Coaching

Krabbeln ist nicht nur was für Babys und vierbeinige Freunde. Richtig ausgeführt, kann man damit jede Bewegungsform verbessern, auch die von uns Zweibeinern.

Letzte Aktualisierung: 24. Juni 2021
Warum du Primal-Training in deine Workouts einbauen solltest

Ein Hund, der auf seinen Hinterbeinen läuft, ist einfach süß und wird schnell zu einem Social-Media-Star. Ein Mensch, der sich auf allen Vieren bewegt, sieht nicht ganz so niedlich aus. Aber er profitiert auf verschiedene Weise davon. Wir erklären dir, was dahinter steckt.

Babys und die meisten Tiere bewegen sich auf allen Vieren fort. Diese Art der Fortbewegung, auf Englisch "Quadrupedal Movement", ist so alt wie die menschliche Evolution und bildet die Grundlage für QMT, also das "Quadrupedal Movement Training", auch Primal-Training genannt. Bei diesem Training wird aber nicht nur gekrabbelt. Übungen wie Bear Planks, Crab Walks, Inchworms und Striking Scorpions (schau auf YouTube nach) bringen Abwechslung in die Sache. Du kennst den Herabschauenden Hund oder Froschsprünge? Auch das sind QMT-Übungen. Dass sie alle in irgendeiner Form nach einem Tier benannt sind, ist übrigens kein Zufall.

Bei all diesen Übungen bewegst du dich auf allen Vieren, und das ist nicht gerade das, was du jeden Tag machst. Auch wenn es sich seltsam anfühlt und vielleicht auch so aussieht, so hat diese Art des Trainings doch einige wichtige Vorteile, zum Beispiel:

Verbesserte Mobilität

Ob du dich bei den Monkey Hops in einem tiefen Squat seitwärts bewegst oder deine Hüfte bei den Crab Reaches anhebst: Für Primal-Übungen musst du den gesamten Bewegungsbereich deiner Gelenke ausnutzen, erläutert Jeffrey Buxton, Assistenzprofessor für Trainingswissenschaften am Grove City College in Pennsylvania. Bei seinen Studien zeigte sich, dass Menschen, die acht Wochen lang zweimal wöchentlich eine Stunde QMT in ihr Training einbauten, in Schultern und Hüfte wesentlich beweglicher wurden und ihre Haltung bei Squats und Lunges deutlich verbessern konnten. Und das wissen vor allem die Gewichtheber unter uns zu schätzen.

Übrigens: Mobilität ist nicht dasselbe wie Flexibilität. Letzteres ist die passive Fähigkeit eines Muskels, sich zu strecken. Hierfür würde dein Trainer zum Beispiel dein entspanntes Bein nach oben drücken, um deine hintere Oberschenkelmuskulatur zu dehnen. Mobilität hingegen beschreibt, mit wie viel Kraft und Kontrolle du deinen Arm oder dein Bein durch den gesamten Bewegungsradius des jeweiligen Gelenks bewegen kannst, also wie hoch du zum Beispiel dein Bein aus eigener Kraft in alle Richtungen anheben kannst.

Für Primal-Übungen musst du den gesamten Bewegungsbereich deiner Gelenke ausnutzen.

Jeffrey Buxton
Assistenzprofessor

Warum ist das wichtig? "Bei einer großen Diskrepanz zwischen Flexibilität und Mobilität steigt das Verletzungsrisiko", erläutert Buxton. Du hast dann möglicherweise nicht genug neuromuskuläre Kontrolle über die jeweilige Bewegung. So bist du zum Beispiel vielleicht flexibel genug, um dich in einer Squat-Position hinzusetzen, aber wenn du in der Hüfte nicht mobil bist, drehen sich deine Knie einwärts und das belastet das Gewebe im Knie, das eigentlich deine Gelenke schützen soll.

Durch das Primal-Training lässt sich diese Lücke zwischen Flexibilität und Mobilität schließen, so Buxton. Wenn dir eine Stunde Training am Stück zweimal die Woche zu viel ist (denn das ist viel), dann bau QMT als 10-minütiges dynamisches Warm-up in dein Training ein, empfiehlt er.

Warum du Primal-Training in deine Workouts einbauen solltest

Ein starker Core

Wir alle wissen: Ein starker Rumpf verleiht mehr Kraft und Stabilität, und das bei allen unseren Aktivitäten – Laufen, Radfahren, Einkäufe tragen und was es sonst noch so gibt.

Wenn du keine Lust mehr auf die guten alten Planks hast, dann sind Primal-Übungen die perfekte Alternative, um die kleineren, weniger häufig beanspruchten Muskeln auf ungewohnte Weise zu aktivieren, erklärt Nike Trainerin Kirsty Godso, die Primal-Übungen in ihre HIIT-Workouts einbaut. Buxton erklärt: "Wenn du dich zum Beispiel auf allen Vieren mit dem Rücken Richtung Boden befindest und eine Hand und das gegenüberliegende Bein für den Crab Walk anhebst oder aus der Bear-Position heraus langsam in ein Sit-Through wechselst, brauchst du deine stabilisierenden Core-Muskeln, um nicht umzukippen."

Auch isometrische Übungen, wie etwa beim Quadrupedal Movement Training (QMT), bei denen du eine bestimmte Position für längere Zeit hältst, eignen sich zum Kräftigen deines Cores, so Godso. Eine ihrer Lieblingsübungen: die Bear-Position. Das ist im Prinzip ein Vierfüßlerstand, bei dem du die Knie knapp über dem Boden in der Luft hältst. Untersuchungen zeigen, dass diese Übung den Rectus Abdominis, also das berühmte Sixpack, sowie die äußeren schrägen Bauchmuskeln und die untere Rückenmuskulatur aktiviert. Bleib für mindestens 30 Sekunden in dieser Position, empfiehlt Godso.

Bessere Wahrnehmung

Sich dreimal pro Woche für jeweils 60 Minuten auf allen Vieren zu bewegen, kann laut einer vierwöchigen Studie, die in der Zeitschrift Human Movement Science veröffentlicht wurde, auch deine kognitive Flexibilität verbessern. Dazu gehört die Fähigkeit, geistig auf Veränderungen in deiner Umgebung zu reagieren und Probleme zu lösen.

Forscher haben bei dieser Studie außerdem herausgefunden, dass Menschen durch QMT ein besseres Gefühl für ihren Körper und ihre Gelenke entwickeln. Im Gegensatz zum klassischen Gewichtstraining sind Primal-Übungen eine große Herausforderung auf neuromuskulärer Ebene, so Godso. Du musst schon voll bei der Sache sein, um sie richtig zu machen. Aber es lohnt sich, denn das Körpergefühl, dass du dabei entwickelst, zahlt sich bei Squats, Klimmzügen und anderen Übungen aus, ergänzt sie. Deine Haltung verbessert sich und du kannst die Bewegung länger korrekt ausführen (ja, hier geht es wieder um Verletzungsprävention).

Warum du Primal-Training in deine Workouts einbauen solltest

Viel mehr Spaß

"Ich liebe die Übungen aus dem Primal-Training, weil sie Spaß machen, herausfordernd sind und mich zu den ersten Bewegungsmustern zurückbringen, die wir alle als Kind gelernt haben", erzählt Godso, die diese Bewegungen besonders gerne mit Burpees verbindet. Godsos ganz eigener "Hot Sauce Burpee" (zu sehen auf Instagram) beinhaltet eine Version des Frogger. Hierbei springst du mit den Füßen nach vorne, streckst deine Beine im Sprung kurz nach hinten aus, bevor du die Füße neben den Händen absetzt und hochspringst.

Kreative Übungen können bewirken, dass sich dein Training ganz spielerisch anfühlt und du gar nicht merkst, wie sehr du dich anstrengst, sagt Godso. (Und seien wir mal ehrlich, Burpees macht sowieso niemand gerne.) Zumindest kann QMT dich dazu ermutigen, etwas Neues zu entdecken, und neue Dinge sind doch immer spannend, oder?

Hier noch ein paar Tipps von den Profis:

  1. Achte immer, aber wirklich immer darauf, deine Handgelenke gut aufzuwärmen. Beim sogenannten "Primal-Training" werden die Handgelenke oft überstreckt, deine Handflächen liegen also flach auf dem Boden auf und die Hand wird nach oben Richtung Unterarm gebeugt, erklärt Buxton. Das kann sich vor allem für die Schreibtischtäter unter uns, die viele Stunden am Tag an der Tastatur verbringen, als ziemlich schmerzhaft erweisen. Durch die ständig leicht gebeugte Haltung verkrampfen unsere Unterarme, erklärt Godso. Das erschwert die Streckung, wie sie beim Krabbeln auf allen Vieren nötig ist, und macht die Bewegung unangenehm. Um das Handgelenk entsprechend vorzubereiten, empfiehlt Godso folgende Warm-up-Übung: Geh in den Vierfüßlerstand und dreh deine Arme so, dass deine Fingerspitzen zu dir zeigen. Dann dreh den Körper sanft 10 Mal nach links und 10 Mal nach rechts. Selbst wenn deine Handgelenke beweglich sind, solltest du nie mehr als 2 Übungen hintereinander machen, um die Gelenke nicht zu überlasten, erklärt Godso weiter.
  2. Finde zuerst eine neutrale Position und werde dann aktiv. Sofern du keine andere Anweisung erhalten hast, beginnst du die Übungen immer auf allen Vieren. Dein Rücken ist gerade und deine Handgelenke befinden sich direkt unter deinen Schultern, so Buxton. Kehre nach jeder Wiederholung in diese Ausgangsposition zurück, ergänzt er. Bevor du beispielsweise in die Loaded Beast-Position gehst (in etwa eine Kindposition, bei der die Knie kurz über dem Boden gehalten werden), beginne mit der Bear-Position. Buxton nennt diese Position auch "Static Beast". Kontrolliere deine Haltung und korrigiere sie gegebenenfalls. Wenn du dich dann nach hinten auf deine Fersen setzt, findest du viel leichter die optimale Position für deinen Körper. Bei der Übung selber kann es vorkommen, dass die Gelenke schmerzen. Das liegt möglicherweise daran, dass du deine Muskulatur nicht ausreichend aktivierst, so Godso. Wenn dir beim Bear Crawl beispielsweise die Handgelenke wehtun, zieh den Bauch ein, aktiviere die Trizeps und drück dich vom Boden ab. So entlastest du deine Handgelenke, erklärt Godso. Außerdem trainierst du gleichzeitig deine Arme und deinen Bauch. Wenn du selbst bei korrekter Haltung Schmerzen hast, solltest du die Übung abbrechen und mit etwas anderem weitermachen.
  3. Lass es langsam angehen. Während du dir die Übungen erarbeitest, solltest du nicht zu schnell vorgehen. Hör immer auf deinen Körper, empfiehlt Godso. Viele Menschen haben bei dieser Art des Trainings Probleme mit einer steifen Hüft- und Oberschenkelmuskulatur. Wenn das auch für dich gilt: Übertreib es nicht. "Dehn dich erst ausreichend", empfiehlt Godso. "Wenn du die Bewegungsabläufe bereits aus anderen Bereichen wie Yoga kennst, wird sich deine Muskulatur schnell lösen." Um den Körper für die Primal-Übungen vorzubereiten, macht Godso gerne Hip Circles, um die Gelenke zu lockern. Auch gut ist ein Figure-Four-Stretch. Aber selbst wenn du mit den Übungen vertraut bist, denk daran: Der Fokus liegt auf Koordination und Stabilität. Mach die Übungen erst schneller, wenn du sie gut beherrschst. Stell dir einfach vor, du bist ein Tier, das sich an seine Beute heranschleicht.

Entsprechende Übungen findest du in einem von Kirsty Godsos HIIT-Workouts in der NTC App. Weniger intensive Version findest du in den Workouts von Nike Trainer Branden Collinsworth. In den Fitnessstudios erkennt man entsprechende Trainingsprogramme an Bezeichnungen wie "Animal Moves", "Animal Fitness" oder "Primal Training". Und natürlich kannst du auch nach Anleitungen von ausgebildeten Trainer:innen googeln. Wie auch immer du vorgehst, mit den folgenden Tipps wirst du nicht nur auf allen Vieren, sondern auch bei allen anderen Trainingsvarianten zum "Tier".

Text: Adele Jackson-Gibson
Illustration: Jon Krause

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Ursprünglich erschienen: 14. Juni 2021