Stressfraktur im Vergleich zu Schienbeinkantensyndrom Wichtige Unterschiede
Gesundheit und Wellness
Expert:innen erklären die beiden Verletzungen und zeigen, wie sie zusammenhängen und was zu tun ist, wenn sie auftreten.
Wenn du mitten in einem Training für einen Wettkampf, ein Rennen oder ein anderes persönliches Ziel bist, können manche Workouts mühsam sein. Und auch wenn ein schweißtreibendes Training wichtig ist, solltest du dir Zeit für eine Ruhephase, Self-Care und Regeneration nehmen, damit du weiter tun kannst, was du liebst und wie du es am liebsten machst.
Wenn du kontinuierlich deine Grenzen überschreitest, könnte sich dein Risiko für einen Burn-out erhöhen. Außerdem könnte der Spaß am Training verloren gehen und du könntest dich verletzen. Aerobes Training mit hoher Intensität kann verschiedene Verletzungen hervorrufen. Die zwei häufigsten Verletzungen aufgrund von übermäßiger Belastung? Das Schienbeinkantensyndrom und Schienbeinstressfrakturen.
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Was ist das Schienbeinkantensyndrom und wie entsteht es?
Ob du seit Jahren läufst oder Laufneuling bist: Du weißt wahrscheinlich, dass schmerzende Muskeln und Gelenke einfach dazugehören. Doch Schmerzen, besonders in den Schienbeinen, solltest du nicht ignorieren.
"Beim Schienbeinkantensyndrom entstehen Schmerzen und Beschwerden aufgrund von ständigem und wiederholtem Laufen oder Aktivitäten, bei denen du viel läufst", sagt Neil Panchal, MS, ACSM-CPT und Trainingsphysiologe am University of California San Francisco Human Performance Center. "Der Schmerz entsteht meist durch körperliche Anstrengung", erklärt er.
"Das Schienbeinkantensyndrom tritt auf, wenn Muskeln und Knochen am Band-Knochenübergang des Schienbeins ziehen", so Carly Graham Brady, DPT, Lauf-Coach und Eigentümerin von On Track Physical Therapy and Performance in Rochester, New York.
"Eine Überbeanspruchung der vorderen Schienbeinmuskeln, ungewöhnliche Belastung im Unterschenkel aufgrund der Stellung der Hüfte und eine falsche Körperhaltung beim Laufen können die Ursachen dafür sein", sagt Graham Brady.
"In den meisten Fällen tritt das Schienbeinkantensyndrom an der medialen Seite des Beins auf (der Teil des Schienbeins, der dem anderen Bein zugewandt ist)", so Panchal. "Wahrscheinlich fühlst du ein Brennen oder eine Empfindlichkeit am Muskel und Schienbein", sagt Graham Brady.
Die Ursache des Schienbeinkantensyndroms lässt sich nicht genau bestimmen, so Panchal, aber "viele Ärzt:innen sagen, dass es aufgrund einer Überbeanspruchung ohne ausreichende Ruhephasen entsteht, in denen Muskeln und Knochen wieder fester zusammenwachsen können."
Das Schienbeinkantensyndrom kann auch auftreten, wenn du dein Trainingsprogramm geändert hast und beispielsweise mehr Sprints oder Steigungsläufe machst. "Abgetragene Schuhe (normalerweise nach 500–800 Kilometern), die den Fuß nicht mehr stützen, und das zu schnelle Steigern des Trainingspensums können ebenfalls zum Schienbeinkantensyndrom führen", so Graham Brady. Dies liegt daran, dass fehlende Kraft und Unterstützung eine Überlastung bestimmter Muskeln zur Folge haben. (Das könnte dich auch interessieren: So kannst du laut Expert:innen ohne Verletzungsgefahr längere Strecken laufen)
"Ein weiterer (oft ignorierter) Auslöser des Schienbeinkantensyndroms sind Verspannungen der Hüfte", weiß Graham Brady.
"Wenn deine Hüftfunktion beeinträchtigt ist, übernehmen andere Muskeln die Arbeit", sagt sie und fügt hinzu, dass, wenn Muskeln nicht richtig funktionieren und du die Hüfte nicht mehr komplett strecken kannst, die Muskeln im Unterschenkel die Arbeit übernehmen. "Alles ab der Hüfte abwärts wird also mehr beansprucht, da die Hüfte nicht mehr unterstützend mitwirken kann."
Die Knochen und Muskeln zu beanspruchen, ist notwendig, um stärker zu werden und deine Performance insgesamt zu verbessern, aber es gibt einen großen Vorbehalt.
"Wenn der Knochen und der Muskel sich nicht der kontinuierlichen erhöhten Belastung angepasst haben, könnten sie sich entzünden, was zum Schienbeinkantensyndrom führt. Es könnte aber auch zu einer größeren Beschädigung kommen, die zu einer Stressfraktur führt", sagt Panchal.
Anzeichen und Symptome des Schienbeinkantensyndroms
Wenn es um die Diagnose eines Schienbeinkantensyndroms geht, kann es schwer sein, festzustellen, ob du nach einem großartigen Training nur Schmerzen hast oder ob es etwas Ernsteres ist. Laut Panchal sind die Hauptsymptome des Schienbeinkantensyndroms dumpfer Schmerz, Muskelkater und Verspannungen um die Tibia (das Schienbein) während des Trainings und danach. Die Betroffenen klagen oft auch über empfindliche und verspannte Schienbeine. Bei schwereren Fällen strahlt der Schmerz oftmals auch abwärts im betroffenen Bein aus.
Wie du das Schienbeinkantensyndrom verhindern und behandeln kannst
Das Schienbeinkantensyndrom kann unangenehm und ärgerlich sein, besonders, wenn du erfolgreich trainiert hast. Mit am einfachsten behandelst und vermeidest du das Schienbeinkantensyndrom, indem du dir eine ausreichende Ruhephase gönnst und vor und nach dem Training ein angemessenes Warm-up bzw. einen Cool-down durchführst. Denk dran: Intensive Workouts ohne Pause sind nur wenig lohnenswert.
Graham Brady empfiehlt eine Massage mit der Faszienrolle der vorderen Schienbeinmuskeln vor und nach dem Training sowie der Waden und Unterschenkel, um die Durchblutung zu fördern und das Gewebe zu lockern, damit Verspannungen und Überbeanspruchungen im Unterschenkel gelöst werden. Sie empfiehlt außerdem Kompressionstherapie wie das Tragen von Kompressionssocken oder das Verwenden eines Kompressionsgeräts wie Kompressionsstiefel.
Trainer:innen haben unterschiedliche Meinungen, ob sich Hitze oder Eis am besten eignet, um Symptome zu lindern, die mit dem Schienbeinkantensyndrom zusammenhängen. Panchal empfiehlt zum Beispiel Eis vor und nach dem Training, um die Entzündung zu hemmen. Graham Brady hingegen bevorzugt Hitze, da sie die Durchblutung im betroffenen Bereich verbessern kann.
"Die Durchblutung trägt dazu bei, die Entzündung quasi auszuspülen, und bringt frisches Blut in den betroffenen Bereich, was zum Heilungsprozess beiträgt. Das hilft beim Reinigungsprozess, sodass das Schienbeinkantensyndrom im Vergleich zu einer Behandlung mit Eis schneller heilt", sagt er.
"Damit keine Missverständnisse entstehen: Eis ist nicht schlecht und kann zur Schmerzlinderung beitragen. Aber es kann den Heilungsprozess zum Stagnieren bringen und hilft nicht gegen die Entzündung", sagt Graham Brady. Kurz gesagt ist es am besten, eine zertifizierte Expertin bzw. einen zertifizierten Experten zu konsultieren und zu entscheiden, welche Methoden am besten für deine Bedürfnisse und Ziele geeignet sind.
Abgetragene Schuhe zu ersetzen, kann auch Schmerzen vermeiden oder lindern. Ebenso verhilft das Einlegen von Innensohlen zu mehr Dämpfung und Unterstützung. Den Gang zu ändern, um die Mechaniken zu verbessern, kann auch dazu beitragen, Symptome des Schienbeinkantensyndroms zu lindern.
Graham Brady empfiehlt auch, eine Physiotherapeutin oder einen Physiotherapeuten zu konsultieren, die bzw. der eine Bewegungsanalyse durchführen und sich ansehen kann, was über dem Schienbein (also ab der Hüfte abwärts) und am Fuß passiert. So lässt sich bestimmen, ob Verspannungen der Hüfte oder am Fuß bestehen, die zu einer Überbeanspruchung des Schienbeins führen. Außerdem empfiehlt sie Beweglichkeitsübungen über und unter der schmerzenden Stelle.
Laut Panchal hilft es auch sehr, wenn du Bewegungen in deine Trainingsroutine integrierst, um das Schienbeinkantensyndrom zu vermeiden und zu behandeln. "Probier insbesondere Bewegungen aus, die die Schienbeine stärken und den Bewegungsradius der unteren Gliedmaßen und Füße verbessern – Gleichgewichtsübungen wie Wadenheben, Hip Hikes, Step-ups, Brücken und eine allgemeine Stärkung der Beine sind entscheidend", sagt er.
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Stressfraktur im Vergleich zum Schienbeinkantensyndrom: Die Hauptunterschiede
"Die Begriffe Schienbeinkantensyndrom und Stressfraktur werden oft als Synonym verwendet", sagt Panchal. Er erklärt, dass die Hauptunterschiede darin liegen, dass das Schienbeinkantensyndrom durch eine Entzündung des Muskelgewebes hervorgerufen wird, wohingegen Stressfrakturen Mikrofrakturen im Knochen sind, die durch stetige Entzündung aufgrund von Überbeanspruchung oder zu viel Training entstehen.
"Beides entsteht aufgrund von Überbelastung. Jedoch können Schmerzen von Stressfrakturen in einem kleineren Körperbereich zu spüren sein, während sich das Schienbeinkantensyndrom in einem größeren Bereich bemerkbar machen kann. Der Schmerz des Schienbeinkantensyndroms kann nach einem angemessenen Warm-up nachlassen. Von Stressfrakturen verursachte Schmerzen sind jedoch während der gesamten Trainingseinheit zu spüren – auch davor und danach", sagt er.
"Wenn die Muskeln zu sehr am Knochen ziehen, kann sich dies auf die Knochenfestigkeit auswirken, was wiederum zu einer Stressfraktur führt", so Graham Brady.
Was ist eine Stressfraktur und was löst sie aus?
Das Schienbeinkantensyndrom und Stressfrakturen können sich ähnlich äußern, aber sie unterscheiden sich. Stressfrakturen werden durch wiederholte Belastung der Knochen und Muskeln hervorgerufen. "Diese Mikrofrakturen entstehen durch unzureichende Ruhephasen und zu kurze Erholungszeiträume, die dem Knochen und Muskel keine optimale Regeneration ermöglichen", sagt Panchal.
Um den höheren Kräften zu widerstehen, die beim Training auf sie ausgeübt werden, und für eine allgemeine Knochenentwicklung, benötigen die Knochen Zeit zum Regenerieren und Stärken. "Wenn sich der Knochen nicht ausreichend erholen kann, kann er keine starke Matrix entwickeln, dank der du schneller und länger laufen oder sogar mehr Gewicht heben kannst. Dadurch entstehen dann Mikrofrakturen", so Panchal. Außerdem können bestimmte Erkrankungen wie Osteoporose mit der Zeit zu Stressfrakturen beitragen.
Anzeichen und Symptome von Stressfrakturen
"Stressfrakturen fühlen sich stechend an und können präzise bestimmt werden", sagt Graham Brady. Im Gegensatz zum Schienbeinkantensyndrom lässt der Schmerz beim Training nicht nach und ist häufig beim Gehen und Ausführen von Aktivitäten zu vernehmen, "da die Knochenfestigkeit selbst gestört ist", sagt sie.
"Ähnlich wie beim Schienbeinkantensyndrom sind häufige Anzeichen und Symptome von Stressfrakturen moderate bis starke Schmerzen um den Bereich der Verletzung", so Panchal. Zudem kommt es häufig vor, dass der Schmerz vor, während und nach der körperlichen Betätigung zu vernehmen ist. "Genauer gesagt, Schmerzen während der Bewegung sowie eine Empfindlichkeit um den betroffenen Bereich herum. Schwellungen kommen ebenfalls vor", sagt er.
Wie du eine Stressfraktur vermeidest und behandelst
"Um eine Stressfraktur zu vermeiden, solltest du dein Trainingsprogramm sorgfältig strukturieren und einteilen, d. h. angemessene Ruhepausen, trainingsfreie Tage und angemessene Regenerationssessions in deine wöchentliche Routine integrieren", rät Panchal.
"Für Neulinge heißt das, Tempo oder Dauer sollten nicht zu schnell erhöht werden. Und auch die Gesamtintensität deiner Workouts sollte nicht zu schnell steigen", fügt er hinzu.
Außerdem ist der Fokus auf die richtige Ernährung bei der Regeneration ebenfalls ein "Schlüsselfaktor, der berücksichtigt werden sollte", wenn es um die Erstellung der Routinen geht, so Panchal.
Graham Brady ist der Meinung, dass das Konsultieren einer Expertin oder eines Experten die beste Investition ist. Sie rät auch dazu, Aktivitäten mit niedriger Belastung wie Schwimmen, Radfahren, Übungen zur Beweglichkeit der Hüfte sowie Übungen auf der Matte einzuschließen.
"Solltest du eine Stressfraktur erleiden, wird dir deine Ärztin oder dein Arzt sehr wahrscheinlich eine Stütze empfehlen, die den betroffenen Bereich für eine gewisse Zeitdauer ruhig stellt, wie einen Stützschuh oder Krücken", sagt Panchal. Eventuell wird man dir auch sagen, das komplette Training, das Schmerzen verursacht, auszusetzen, bis deine Schmerzen nachlassen.
Um die Stressfraktur zu rehabilitieren, wirst du wahrscheinlich Aktivitäten mit niedriger Belastung wie Laufen auf einem Anti-Schwerkraft-Laufband oder einem Unterwasser-Laufband, Radfahren oder Schwimmen ausüben. Deine Ärztin oder dein Arzt wird wahrscheinlich auch einfaches Krafttraining und Dehnübungen in deine Trainingsroutine integrieren, die auf die betroffene Muskulatur ausgerichtet sind.
Der Schlüssel: Sprich mit deiner Ärztin bzw. deinem Arzt oder einer lizenzierten Gesundheitsexpertin bzw. einem Gesundheitsexperten, um ein auf dich zugeschnittenes Programm auszuarbeiten, mit dem du wieder auf die Beine kommst.
Schlussfolgerung
Wenn du das Schienbeinkantensyndrom, eine Stressfraktur oder keines von beiden hast, "würde ich im Allgemeinen empfehlen, nicht zu warten. Lass bei ungewöhnlichen Schmerzen möglichst schnell die Ursache dafür feststellen, damit du schneller wieder das machen kannst, was du liebst", sagt Graham Brady.
Präventive Maßnahmen sind ebenfalls entscheidend – ob du Schmerzen hast oder nicht.
"Ich sage den Leuten immer gerne, dass sie Beweglichkeitsübungen für die Hüfte und Fußknöchel durchführen sollen, die auf ihre Sportart oder Aktivität ausgerichtet sind. Wenn du laufen möchtest, solltest du dich dehnen, deinen Körper bewegen und ihn stärken … die Muster stärken, die du bei deiner Aktivität ausführen wirst, damit du dich nicht so sehr erschöpfst, dass du über keine Stabilität mehr verfügst", sagt Graham Brady.
Wenn du dich auf die vermeintlich "banalen" Grundlagen wie Warm-up, Cool-down, Massagen und auf deine Aktivitäten abgestimmte Kraftübungen konzentrierst, kannst du das Schienbeinkantensyndrom, Stressfrakturen und andere Verletzungen vermeiden.
Text von Tamara Pridgett