Nutze die Kraft des Placeboeffekts

Coaching

Wenn dein Gehirn glaubt, dass eine Regenerationsmethode funktioniert, dann kann sie dir möglicherweise auch helfen, selbst wenn sie nicht wissenschaftlich belegt ist.

Letzte Aktualisierung: 25. Juli 2022
6 Min. Lesezeit
  • Der Placeboeffekt bedeutet, dass man so fest an ein Ergebnis glaubt, dass es auch eintritt – unabhängig davon, was die Wissenschaft sagt.
  • Für die Wirkung von Eisbädern beispielsweise gibt es nicht viele wissenschaftliche Belege, dennoch könnte das Gehirn Endorphine freisetzen, wenn du dich in ein solches Bad setzt, was deinen Progress fördert.
  • Die Wirkung verstärkt sich noch, wenn du andere Personen nach ihrer Meinung zu dem Nutzen einer Technik fragst.


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Warum der Placeboeffekt funktioniert

Stell dir vor, du trinkst einen frisch gebrühten Kaffee und erfährst erst, nachdem deine Tasse schon halb leer ist, dass es sich um koffeinfreien Kaffee handelt. Du fühlst dich aber immer noch voller Energie und hellwach. Würdest du aufhören, diesen Kaffee zu trinken? Deine Antwort auf diese Frage ist weniger wichtig als das Phänomen hinter dem vermeintlichen Koffeinkick: der Placeboeffekt.

"Der Placeboeffekt tritt ein, wenn man eine positive Wirkung verspürt, die auf dem Glauben an eine bestimmte Maßnahme oder Intervention beruht und nicht auf deren tatsächlichen Eigenschaften", erklärt Dr. Shona Halson, außerordentliche Professorin für das Fachgebiet Regeneration an der Australian Catholic University. Vom Placeboeffekt spricht man auch dann, wenn man daran glaubt, dass das, was man macht, eine positive Wirkung haben wird, auch wenn es dafür keinen Beweis gibt.

Viele Athlet:innen nutzen den Placeboeffekt, wenn sie die neuesten gehypten Regenerationstechniken ausprobieren – ganz gleich, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht. Trotz ihrer großen Beliebtheit können viele dieser Methoden, darunter Massagepistolen, die an eine Bohrmaschine mit einem Schaumstoffball als Aufsatz erinnern, und Kryotherapie, bei der du zum Regenerieren in eine Kältekammer gehst, sowohl mit physiologischen Vorteilen als auch mit dieser psychologischen "Placeboerfahrung" verbunden sein – manchmal überwiegt Letzteres.

Nimm beispielsweise Kompressionsstrümpfe, die total im Trend sind: Sie sollen Schwellungen und Muskelkater nach dem Training reduzieren, heißt es. Eine kürzlich im Open Access Journal of Sports Medicine veröffentlichte systemische Durchsicht wissenschaftlicher Literatur hat allerdings gezeigt, dass die Träger:innen von Kompressionsstrümpfen zwar gefühlt weniger Muskelkater hatten, aber keine Verbesserung ihrer Marker für Muskelschäden oder Entzündungen zeigten. Eine andere Studie, veröffentlicht im International Journal of Sports Physiology and Performance, fand heraus, dass die Regenerationswirkung der Strümpfe unter Umständen noch verstärkt werden konnte, wenn die Athlet:innen glaubten, dass sie funktionieren würden.

Es gibt auch pneumatische Kompressionsgeräte, die wie weiche Gipsverbände für die Arme und Beine aussehen. Forscher:innen stellten im International Journal of Exercise Science fest, dass der Placeboeffekt ein Grund dafür sein könnte, dass die Teilnehmenden nach dem Tragen dieser Geräte von einer schnelleren Regeneration und weniger Schmerzen durch später einsetzenden Muskelkater berichteten als nach dem Tragen herkömmlicher Kompressions-Sleeves. (Vielleicht lag es an der modernen hochtechnischen Optik der pneumatischen Geräte, wer weiß.)

Ähnliche Erkenntnisse gelten auch für andere Regenerationsmethoden wie Eisbäder und Massagen: Einige Untersuchungen ergaben, dass die meisten Teilnehmenden bessere Ergebnisse erzielten, wenn sie an die hilfreiche Wirkung der Therapie glaubten, was wiederum ein Beweis für die faszinierende Kraft unserer Gedanken ist.

Warum der Placeboeffekt funktioniert

Die Psychologie hinter dem Placeboeffekt

Heißt das also, dass das, was diese Menschen erlebt haben, gar nicht stimmte? Im Gegenteil, meint Dr. Halson. Das Gefühl mag vom Kopf her kommen, aber seine Auswirkungen sind sehr real.

"Beim Placeboeffekt spielen normalerweise Erwartungen eine Rolle, die vom präfrontalen Cortex des Gehirns gesteuert werden", weiß Dr. Lauren Atlas, spezialisiert auf affektive Neurowissenschaften und Schmerzforschung am National Center for Complementary and Integrative Health der National Institutes of Health. "Diese Region kann sich mit anderen Regionen verbinden, die die Freisetzung von Chemikalien wie zum Beispiel Endorphine (Glückshormone) verursachen und die Reaktion des Körpers beeinflussen." Es gibt verschiedene Arten von Placebos, erklärt sie. Manche können dein Opioidsystem dazu veranlassen, Schmerzsignale so zu blockieren, dass sie nicht beim Gehirn ankommen, andere wiederum verändern deine Emotionen und sorgen dafür, dass du dich entspannter fühlst.

Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum der Placeboeffekt gerade im Forschungsgebiet der Regeneration so häufig auftritt. "Im Sport können winzige Sekundenbruchteile über Sieg oder Niederlage entscheiden", so Dr. Halson. "Die Athlet:innen, die ihren Sport besonders ernst nehmen, werden fast alles versuchen, diesen Vorsprung zu erlangen, so klein er auch sein mag." Besonders, wenn man dafür lediglich Kompressionsstrümpfe tragen muss.

Das Gefühl von Ritualisierung könnte den Placeboeffekt verstärken, fügt Dr. Halson hinzu. "Die meisten Regenerationsmethoden sprechen überwiegend unsere Sinne an", sagt sie. Wenn du also das Gefühl hast, deinem Körper jedes Mal etwas Gutes zu tun, wenn du fröstelnd im Eisbad sitzt oder deine Muskeln mit einem kühlenden Gel einreibst, können dieser Glaube und das Vertrauen, das er weckt, deine spätere Leistung steigern. Und je mehr du willst, dass etwas funktioniert, desto wahrscheinlicher ist es, dass du auch daran glaubst, dass es funktionieren wird, so Dr. Halson.

So nutzt du den Placeboeffekt zu deinem Vorteil

Du möchtest eine neue Regenerationsmethode ausprobieren? Gehst du mit negativen Erwartungen hinein, riskierst du schlechte Erfahrungen – Expert:innen nennen das den "Nocebo-Effekt", erklärt Dr. Atlas. Das Beste, was du machen kannst: Bleib aufgeschlossen für Neues. Achte aber darauf, dass du das Hilfsmittel oder die Methode – ob nun Massagepistole oder elektrische Stimulation – aus dem richtigen Grund einsetzt. Sie sind dazu gedacht, deine Regeneration zu optimieren, nicht ein größeres körperliches Problem zu heilen. "Wenn du mit einem tieferliegenden Problem oder einer Verletzung zu tun hast, solltest du dich an eine spezialisierte Fachkraft wenden", rät Dr. Halson.

Du hast etwas in den sozialen Medien gesehen oder im Internet gelesen und bist neugierig geworden? Tausch dich mit anderen darüber aus, zum Beispiel mit deinen superaktiven Freund:innen oder mit Physiotherapeut:innen, die Erfahrung mit verschiedenen Regenerationsmethoden haben. So findest du heraus, was sie von deiner Entdeckung halten, schlägt Dr. Halson vor. Wenn jemand anderes von den Vorteilen einer Methode begeistert ist, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass auch du an ihre Wirkung glaubst.

Wir wollen uns nicht zu sehr auf die Metaebene begeben, aber wenn du daran glaubst, dass der Placeboeffekt selbst real und wirksam ist, wirst du ihn auch eher erleben. Ja, es gibt einen Placeboeffekt für den Placeboeffekt. Cool, oder?

Text: Ashley Mateo
Illustration: Gracia Lam

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Ursprünglich erschienen: 8. August 2022