Langsamer essen – so klappt's
Coaching
Wenn du dir bewusst Zeit beim Essen nimmst, tust du deinem Körper und Geist etwas Gutes. Hier erfährst du, wie es geht.
Wie oft ist es dir schon passiert, dass du dein Mittagessen schnell im Stehen gegessen oder während des Essens auf dein Smartphone geschaut hast (oder vielleicht sogar beides gleichzeitig)? Wie oft hast du deinen teuren Smoothie schon so schnell getrunken, dass du danach das Gefühl hattest, das Geld dafür verschwendet zu haben?
Bevor du nun anfängst, dir Dauervorwürfe zu machen: Es gibt viele Faktoren, die dazu führen können, dass wir einfach unkontrolliert und zu schnell essen, erklärt Dr. Kathleen Melanson, Ernährungsberaterin sowie Professorin und Leiterin des Graduiertenprogramms für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften am University of Rhode Island College of Health Sciences.
Ein Faktor ist schlicht und einfach echter Hunger. Angst, Anspannung, Stress und andere Emotionen, die viele von uns in den aktuellen Zeiten belasten, können dazu führen, dass wir zu schnell essen. Bei manchen ist schnelles Essen vielleicht in ihrer DNA verankert. Auch das Umfeld und die Umgebung spielen eine große Rolle: Viele von uns lernen von klein auf, dass schnelles Essen effizient ist. "Essen ist einfach ein weiterer Punkt, den man auf der To-do-Liste abhaken kann", erklärt Melanson.
Langsames Essen macht den Unterschied
Es gibt also so einiges, was es dir trotz guter Vorsätze erschwert, langsamer zu essen. Darum sollten wir uns bemühen, unser Sättigungsgefühl bewusster wahrzunehmen oder ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, wann wir satt (und nicht "pappsatt") sind.
Laut Dr. Krista Scott-Dixon, Programmleiterin bei Precision Nutrition, haben das nämlich die meisten von uns im Laufe der Jahre verlernt. Anstatt bewusst wahrzunehmen, wann wir wirklich Hunger haben oder satt sind, richten wir uns nach äußeren Signalen (wie "Es ist Essenszeit" oder "Mein Partner/Meine Partnerin isst, also sollte ich auch essen" oder "Mein Teller ist noch nicht leer"), so Scott-Dixon. Langsam zu essen basiert jedoch im Grunde darauf, auf die Größe unserer Essensportionen zu achten. Dann ist auch die Wahrscheinlichkeit geringer, dass du zu viel isst (selbst wenn du dir eigentlich einen dritten Nachschlag gönnen wolltest).
Das funktioniert, weil das Essen eine ganze Reihe von Körperreaktionen auslöst: Das Gehirn nimmt physische Signale auf (z. B. die Bewegungen der Kiefermuskeln beim Kauen), das Verdauungssystem bereitet sich auf die Aufnahme und Verarbeitung der Nahrung vor und das zentrale Nervensystem schüttet appetitregulierende Hormone aus, die ein Sättigungsgefühl auslösen, erklärt Melanson.
Anstatt bewusst wahrzunehmen, wann wir wirklich Hunger haben oder satt sind, richten wir uns nach äußeren Signalen (wie "Es ist Essenszeit" oder "Mein Partner/Meine Partnerin isst, also sollte ich auch essen" oder "Mein Teller ist noch nicht leer").
Dr. Krista Scott-Dixon
Programmleiterin bei Precision Nutrition
Wenn du deinen Teller schneller leer isst, als sein Abwasch dauert, können dein Körper und dein Gehirn diesen Vorgang nicht registrieren und entsprechend darauf reagieren. Wenn du dir jedoch Zeit beim Essen nimmst, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass du zu viel isst – jetzt und auch in Zukunft, so Melanson.
Und das ist noch nicht alles, denn langsames Essen kommt auch der Verdauung zugute, erklärt Scott-Dixon. Wenn du zu schnell isst, werden Magen und Darm stark belastet und können das Essen nicht richtig verarbeiten. Außerdem könnte auch dein sympathisches Nervensystem (also dein Kampf- und Fluchtreflex) angeregt werden, das Blut vom Verdauungssystem wegzuleiten, was wiederum die Kontraktionen, mit denen die Nahrung durch den Darm weiterbewegt wird, aus dem Rhythmus geraten können. All das kann zu Sodbrennen, Verdauungsstörungen und Verstopfung führen.
Neben der positiven Auswirkung auf die Körperfunktionen sind sich Fachleute auch einig, dass langsames Essen mehr Lebensfreude mit sich bringen kann. Studien zeigen, dass Menschen die gleiche Mahlzeit mehr genießen, wenn sie sie langsamer essen. Das könnte also bedeuten, dass sie für das gleiche Maß an Genuss weniger Kalorien benötigen, so Melanson – ein großer Vorteil, wenn du versuchst, auf dein Gewicht zu achten, und das Leben trotzdem weiterhin genießen möchtest (das solltest du auf jeden Fall). Es kann zudem verhindern, beispielsweise vor dem Training zu viel zu essen.
Falls dich der Gedanke, langsamer zu essen, etwas nervös macht, stell dir vor, dass dich diese Fähigkeit als reifen, erwachsenen Menschen auszeichnet und mit der Zeit erlernt werden kann. Hier erfährst du, wie es geht.
- Dringliche Aufgaben vorher erledigen. Du musst vor dem Essen nicht erst alles auf deiner To-do-Liste erledigt haben (sonst kämest du wahrscheinlich nie zum Essen). Aber du solltest versuchen, unmittelbare Aufgaben, beispielsweise eine dringende E-Mail versenden oder den Hund füttern, vor dem Essen zu erledigen. Allein der Gedanke daran, dass noch dringende unerledigte Dinge auf dich warten, kann dich unbewusst schneller essen lassen, erklärt Melanson.
- Nicht an der Zeitdauer orientieren. Früher lautete die Standardempfehlung: 20 Minuten Essenszeit pro Mahlzeit. Aber sowohl Melanson als auch Scott-Dixon sind sich einig, dass dies für die heutige Zeit nicht mehr zutrifft. Wenn du eine bestimmte Zeitdauer als Maßstab nimmst, kann es passieren, dass du auf dein Smartphone schaust, dein Essen nicht richtig kaust und schnell verschlingst oder nebenbei noch andere Dinge erledigst, bis die Zeit rum ist – all das beeinträchtigt die Vorteile des langsamen Essens, da es die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Vorgang des Essens ablenkt. Und wenn du nicht achtsam bist, fällt es dir viel schwerer wahrzunehmen, wann du satt bist.
Außerdem haben manche einfach keine 20 Minuten Zeit für jede Mahlzeit (wenn überhaupt). Scott-Dixon empfiehlt, die Essenszeit als Gelegenheit zu betrachten, Intention, Aufmerksamkeit und Ruhe in diesen Vorgang zu bringen. "Das könnte für dich zum Beispiel so aussehen, dass du vor dem Essen tief einatmest", so Scott-Dixon. "Dann nimmst du einen Bissen und atmest noch einmal tief ein." Wenn du das konsequent beibehältst – auch wenn du anfangs vielleicht nur ein paar tiefe Atemzüge pro Mahlzeit machst –, kannst du dir angewöhnen, vor und nach jedem Bissen tief und ruhig zu atmen. - Bewusst kauen. Gründliches Kauen verhindert nicht nur, dass du dich verschluckst. Es ist auch wichtig, weil die Nerven in unseren Kiefermuskeln Signale an die Sättigungszentren unseres Gehirns weiterleiten, erklärt Melanson. Dabei kann es helfen, die Kaubewegungen zu zählen, was aber in der Praxis nicht wirklich anwendbar ist, wenn du zum Beispiel zusammen mit anderen isst. Stattdessen empfiehlt Melanson, so lange zu kauen, bis sich das Essen im Mund wie eine homogene weiche Masse ohne Stückchen anfühlt (klingt schlimmer als es in Wirklichkeit ist, versprochen).
Natürlich müssen einige Nahrungsmittel nicht sonderlich gekaut werden, beispielsweise Proteinshakes und Haferflocken. Aber auch bei diesen Lebensmitteln kannst du den Effekt des Kauens imitieren, indem du sie vor dem Runterschlucken erst im Mund bewegst (auch das klingt vielleicht unschöner, als es tatsächlich ist). - Jeden Bissen auf seinem Weg visualisieren. Eine Methode, die Melanson in ihren Forschungsstudien anwendet, besteht darin, sich jeden Bissen auf dem Weg vom Mund über die Speiseröhre zum Magen vorzustellen, bevor man den nächsten Bissen nimmt. Das mag ein wenig seltsam klingen (und ist wahrscheinlich am besten machbar, wenn du alleine isst), aber diese Methode hilft dabei, wirklich jeden Bissen zu schmecken und zu genießen, sagt sie.
- Mit allen Sinnen essen. Im Moment zu bleiben ist der Schlüssel zum langsameren Essen und zum Wahrnehmen der Sättigungssignale deines Körpers. Deshalb ist es für Scott-Dixon sehr wichtig, beim Essen zu hören, zu schmecken und zu riechen. Achte zum Beispiel darauf, welche Geräusche knusprige, knackige Nahrung beim Kauen macht, nimm die Textur des Essens im Mund wahr oder die einzelnen Zutaten und Aromen, die du schmecken kannst.
Manchmal bittet Scott-Dixon ihre Kund:innen auch, ihre Wahrnehmung beim Essen zu schildern. "Sie nutzen die Aufnahme-App ihres Smartphones und erzählen dann beispielsweise: 'OK, ich nehme jetzt den ersten Bissen. Es ist Joghurt. Er ist rosa. Und riecht nach Erdbeeren.'" Zugegeben, du kommst dir dabei eventuell total lächerlich vor. Aber wenn du dieses Experiment ein- oder zweimal ausprobierst, kann es dir wirksam zeigen, wie es sich wirklich anfühlt, beim Essen ganz im Hier und Jetzt zu sein, erklärt Scott-Dixon. Achtsamkeit geht dir so mit der Zeit in Fleisch und Blut über. Das wäre vielleicht auch eine kreative Idee für ein Dinner Date, oder? - Alte Gewohnheiten abschütteln. Alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen. Wenn du bemerkst, dass du wieder zu schnell isst, empfiehlt Scott-Dixon, die Mahlzeit zu unterbrechen und dich auf deinen Körper zu konzentrieren. Oft spannen wir unsere Muskeln an, während wir schnell essen, und lösen so den Kampf- und Fluchtreflex aus. Nimm dir kurz Zeit, um dich zu entspannen – vielleicht, indem du deine Arme streckst oder Arme und Beine ausschüttelst. Wenn du dich danach etwas entspannter wieder deinem Essen widmest, kann es dir leichter fallen, langsam zu essen.
Vergiss auch nicht, dass unser immer schneller getakteter Alltag dazu geführt hat, dass wir automatisch schneller essen. Da ist es ganz normal, dass dir langsames Essen anfangs schwer fällt. Sei nachsichtig mit dir und probier es zunächst mit weniger schwierigen Essenssituationen aus, beispielsweise mit dem Abendessen am Tisch. Arbeite dich dann nach und nach an schwierigere Situationen heran, wie Mittagessen am Schreibtisch und Snacks im Auto. Fast Food ist zwar nicht tabu, aber schnelles Essen solltest du tatsächlich dauerhaft vermeiden.
Text: Julia Malacoff
Illustration: Gracia Lam
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